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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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Papiertüchern hinter sich. Die Spülung rauschte leise, statt laut zu gurgeln wie die altmodischere Anlage im Haus ihrer letzten Dienstherren. Ihre Unterhose war noch feucht, ihre Zukunft noch unbestimmt.
    Sie konnte wieder ins Bett gehen oder sich anziehen. Sie konntevorgeben, Gabriels Gast zu sein … oder seine Gefangene, wie sie es ihres Wissens tatsächlich war. Ihre Entscheidung …
    Das kombinierte Duschbad lockte. Victoria versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal etwas nur zum Vergnügen getan hatte. Sie wusste es nicht. Als Kind hatte sie Angst vor ihrem Vater gehabt, Angst, dass er sie beschimpfen würde. Und er hatte es getan. Als Gouvernante hatte sie Angst vor ihren Dienstherren gehabt, Angst, dass man sie entlassen würde. Und sie hatten es getan. Nun war sie weder ein Kind noch eine Gouvernante: Sie war eine ganz auf sich gestellte Frau. Victoria hatte nichts mehr zu verlieren. Weder die Liebe eines Vaters noch den Lohn eines Dienstherren.
    Entschlossen glitt sie über den kalten Fliesenboden. Sechs Messinghähne reihten sich auf dem Satinholzpaneel des kombinierten Duschbads. Sie waren deutlich beschriftet: Warm, Kalt , Wanne , Nadelbrause , Leberbrause , Dusche . Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den Hahn mit der Aufschrift Dusche aufdrehte. Nichts passierte. Schnell schloss sie den Hahn wieder. Hatte sie etwas zerbrochen?
    Es dauerte eine Weile, bis die Vernunft siegte. Zögernd öffnete sie den Hahn mit der Aufschrift Kalt . Das laut prasselnde Wasser kam nicht aus dem Kupferspeier an der Badewanne – zögernd schaute Victoria unter die Kupferhaube –, es kam aber auch nicht aus der großen, runden Kupferscheibe darüber. Ein kleines Thermometer über den sechs Kupferhähnen zog ihren Blick auf sich. Allmählich wurde ihr klar, dass das kalte Wasser in einen Mischbehälter floss. Sie öffnete den Heißwasserhahn. Sofort sprang die Temperatur auf dem Thermometer in die Höhe. Neben dem Thermometer zeigte eine Anzeige den Füllstand des Mischbehälters an. Ein Viertel voll, zwei Viertel voll, drei Viertel voll … voll. Hastig drehte Victoria die beiden Wasserhähne zu. Erregung ließ ihr Blut schneller pulsieren.
    An der Badezimmertür gab es keinen Riegel. Der Gedanke dämpfte ihre Erregung kein bisschen. Sie stieg in die Kupferwanne – das eiskalte Metall ließ sie die Zehen kräuseln – und trat vorsichtig unter die Kupferhaube.
    Sofort war Victoria von vorn, von den Seiten und von obeneingeschlossen – es war, als betrete man eine Kupfergrotte. Zwei kleinere Kupferscheiben auf jeder Seite waren nach unten gebogen – sie hatten Hüfthöhe. Ein Kupferrohr verlief in jeder der vier Ecken; sie waren von oben bis unten durchlöchert.
    Eine Frau mit kupferfarbener Haut spiegelte Victorias Bewegungen wider – drehte den Kopf, wenn Victoria den Kopf drehte, schob die Brust heraus, wenn Victoria die Brust herausschob, hob den Arm …
    Victoria drehte den Hahn mit der Aufschrift Nadelbrause auf. Sofort prasselte warmes Wasser auf sie ein – auf Brüste, Hinterteil, linke Hüfte, rechten Knöchel, Gesicht, Bauch, Rücken. Keine Stelle ihres Körpers, die das aus vier perforierten Rohren spritzende Wasser nicht erreichte.
    Ihr Haar klebte ihr an Schultern und Rücken; Dampf füllte ihre Lungen. Sie drehte den Hahn mit der Aufschrift Nadelbrause ab – sofort versiegte das Wasser. Mutig öffnete sie den Hahn mit der Aufschrift Dusche . Und stand auf der Stelle im Regen. Die Wucht, mit der das Wasser auf ihren Kopf und ihre Schultern prasselte, war prickelnd und zugleich liebkosend.
    Es war, als sei sie nackt von einem Sommerregen überrascht worden. Instinktiv drehte sie sich in Wasserstrahl und Hitze. In einer Nische der Kupferwände gab es ein Stück Seife und eine Flasche – Victoria musterte das Etikett – Haarshampoo . Der Dampf ließ die Aufschrift verschwimmen. Die Seife erkannte sie an ihrem Duft – es war seine. Sein Shampoo.
    Der Mann, der versprochen hatte, sie zu beschützen. Falls er es konnte. Victoria benutzte Gabriels Seife. Und dann benutzte sie Gabriels Shampoo. Anschließend hob sie das Gesicht in den Sommerregen, bis sie das gesamte Wasser im Mischbehälter aufgebraucht hatte.
    Für eine kleine Weile fand sie die Freude wieder, die mit Unschuld einhergeht. Doch dann war auch das vorbei. Ihre Freude. Ihre Unschuld.
    Victoria schlug die Augen auf und starrte auf die Frau mit der kupferfarbenen Haut und dem dunklen, glatt am Kopf klebenden

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