Abgrund der Lust
bringen? Hatte er gehofft, sie um Lust betteln zu machen? Hatte er sich in ihr Schlafzimmer gestohlen und ihre Seidenunterhose gesehen, als sie noch weich und weiß war? Gabriel schürte seine Wut.
»Ich werde Sie nicht erschießen, wenn Sie mir sagen, was ich wissen will«, sagte er schmeichelnd. Gabriel log nicht. Ein Schuss würde Aufmerksamkeit erregen; eine zerquetschte Luftröhre nicht.
»Alles, Sir«, stammelte der Mann. Er besaß keinen Stolz, keine Würde; den Titel des Gentleman trug er nur aufgrund seiner Herkunft und seines Vermögens. »Ich sage Ihnen alles, was Sie wissen wollen.«
Gabriel zweifelte nicht daran.
»Alles, Thornton?«, fragte Gabriel leise, verführerisch.
»Ja … Ja!«, bestätigte Thornton eifrig, glühende Hoffnung in den Augen. Es war sein zweiter Fehler. Hoffnung tötete.
Es war Zeit, dem Spiel ein Ende zu machen.
»Sagen Sie mir, warum Sie Victoria Childers terrorisieren.«
Der Mann blinzelte. »Victoria Child…, wieso, sie ist nicht mehr in meinem Haus angestellt.«
»Warum nicht?«, fragte Gabriel mit samtener Stimme.
Der Mann verdrehte nervös die Augen. »Sie … sie … meine Frau hat sie entlassen.«
»Und, warum hat sie das getan?«
»Sie … sie … Victoria Childers … sie hat mit mir geflirtet …« Es war Thorntons dritter Fehler. Ein Mann log nicht im Angesicht des Todes.
»Victoria Childers ist keine Frau, die flirtet.« Gabriel stieß den Lauf des Revolvers leicht in Thorntons rechte Wange. Metall stieß auf Knochen. »Warum haben Sie Ihre Frau angelogen?«
»Ach bitte …«
»Die Wahrheit, Thornton«, schmeichelte Gabriel. »Ich will nur die Wahrheit.«
»Ich …«, der Mann versuchte zu schlucken, schaffte es nicht, »ich habe meine Frau nicht angelogen.«
»Wollen Sie sagen, dass Victoria Childers mit Ihnen geflirtet hat, Thornton?«, fragte er bedrohlich.
Der Mann machte einen vierten Fehler. Er verdrehte die Augen nach oben, als suche er dort nach einem Retter. »Nein, nein, das habe ich nicht gesagt.«
»Was haben Sie denn gesagt?«
»Meine F-f-frau«, stotterte er, »meine Frau ist sehr eifersüchtig.«
»Die Stellenvermittlung besorgt Ihnen alle paar Monate eine neue Gouvernante, Thornton. Sie haben doch sicher nicht geglaubt, dass Ihre Ränke nicht auffallen würden.«
»Ich weiß … ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Der Lauf des Revolvers schob ihm das Innere seiner Wange zwischen die Zähne, sodass er den Mund nicht ganz schließen konnte. Seine Vokale wurden breiter. »Meine Frau stellt die Gouvernanten ein und entlässt sie.«
Seine Frau …
»Sie müssen inzwischen einen ganz schönen Harem haben.«
Thornton wurde allmählich klar, wie gefährlich Gabriel war. »Bitte, tun Sie mir nichts«, bettelte er.
»Finden Sie nicht, dass Sie es verdient hätten?«, sagte Gabriel sanft. Und fragte sich, was Thornton mit Victoria gemacht hätte, wenn sie zu ihm gekommen wäre.
Hätte er sie dem zweiten Mann übergeben, bevor oder nachdem er sie missbraucht hätte?
»Ich habe nichts getan, das sage ich Ihnen doch«, sagte der Mann gequält.
»Trotzdem wurde Victoria Childers entlassen. Ohne Zeugnis. Gouvernanten, die keine Zeugnisse haben, bekommen keine anständige Anstellung. Sie lassen Ihren Frauen wahrhaftig keine andere Wahl, als zu Ihnen zu kommen, nicht wahr, Thornton?«
Um Essen zu bekommen. Ein Dach über dem Kopf. Körperliche Liebe …
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe keine Frauen. Ich habe meine Ehefrau. Meine Frau weiß, wohin die Gouvernanten gehen. Sie kommen nicht zu mir. Niemand kommt zu mir. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Ich habe nichts getan, das versichere ich Ihnen.«
In der Stimme des Mannes lag ein misstönender Anklang von Wahrheit.
Gabriel drückte ihm den Lauf des Revolvers fester ins Gesicht.Der Mann würde morgen einen blauen Flecken auf der Wange haben. Passend zu dem blauen Fleck an seiner Kehle.
»Bitte, Sir, bitte, nehmen Sie die Waffe weg.«
Der Atem des Mannes roch nach Kaffee; das bittere Aroma von Ammoniak wehte herauf. Vor Angst hatte Thornton sich in die Hose gemacht. Das Kichern eines Kindes hallte herüber. Eine ferne Erinnerung an Unschuld. Victoria hatte gesagt, ihr Dienstherr habe gelogen. Um ihre Entlassung zu erwirken. Sie hatte gesagt, ihr ehemaliger Arbeitgeber habe die Briefe geschrieben. Um sie zu verführen.
Glaubst du, dein Onkel hätte arrangiert, dass mir eine Frau geschickt wird, die mich in den Tod lockt?, hatte Gabriel Michael
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