Abgrund: Roman (German Edition)

Assimilation von stickstoffhaltigen Verbindungen. Dadurch wird jedoch auch die Ausbreitung in wässrigen Umgebungen mit hohem Salzgehalt auf unter zwanzig Teilchen in tausend begrenzt, wegen des hohen Energieaufwands, der für die Osmoseregulation nötig ist. Thermischer An…«
    »Genug!«
    Rowan verstummte augenblicklich, und ihre Augen verblassten ein wenig.
    »Sie haben nicht die geringste Ahnung, was Sie mir da gerade erzählt haben«, fauchte Scanlon. »Sie lesen das nur von Ihrem automatischen TelePrompter ab. Sie wissen nicht, was es bedeutet.«
    »Diese Dinger sind ziemlich durchlässig, Yves.« Ihre Stimme klang nun etwas sanfter. »Dadurch gewinnen sie einen großen Vorteil bei der Aufnahme von Nährstoffen. Im Salzwasser geht das Ganze jedoch nach hinten los, weil sie so viel Energie auf die Osmoseregulation verwenden müssen. Ihr Stoffwechsel muss ständig auf Hochtouren laufen, oder sie würden verschrumpeln wie Rosinen. Und ihre Stoffwechselrate steigt und fällt entsprechend der Umgebungstemperatur. Können Sie mir folgen?«
    Er blickte sie überrascht an. »Sie benötigen Wärme. Sie sterben, wenn sie die Riftzone verlassen.«
    Rowan nickte. »Es dauert eine Weile. Selbst bei vier Grad. Die meisten von ihnen bleiben deshalb unten in den Quellen, wo es stets warm ist, obwohl sie kältere Phasen zwischen den Eruptionen durchaus überstehen können. Doch die Zirkulation in der Tiefe ist so langsam, dass sie sterben würden, wenn sie eine Riftzone verlassen, lange bevor sie die nächste gefunden haben.« Sie holte tief Luft. »Doch wenn es ihnen nun gelänge, das alles zu überwinden, verstehen Sie? Wenn sie in eine Umgebung gelangen könnten, die weniger salzig ist oder weniger kalt, dann würden sie ihren Vorteil zurückgewinnen. Es wäre so, als wollten Sie Ihr Mittagessen gegen etwas verteidigen, das zehnmal schneller isst als Sie.«
    »Klar. Ich trage den Weltuntergang in mir. Kommen Sie schon, Rowan. Wofür halten Sie mich? Dieses Ding hat sich auf dem Grund des Ozeans entwickelt, und Sie behaupten, es kann einfach auf einen menschlichen Körper überspringen und per Anhalter in die große Stadt reisen?«
    »Ihr Blut ist warm.« Rowan starrte auf ihre Hälfte des Tisches. »Und nicht einmal annähernd so salzig wie Meerwasser. Dieses Ding lebt bevorzugt im Innern von Lebewesen. Es befindet sich schon seit Ewigkeiten in den Fischen dort unten, darum werden sie mitunter auch so groß. Offenbar handelt es sich dabei um eine Form von … intrazellulärer Symbiose.«
    »Wie steht es dann mit dem Druckunterschied? Wie kann etwas, das bei einem Druck von vierhundert Atmosphären entstanden ist, bei Normalnull überleben?«
    Diese Frage konnte Rowan nicht sogleich beantworten. Doch nach einer Weile leuchtete ein schwacher Funke in ihren Augen auf. »Hier oben ginge es ihm sogar noch besser als am Meeresboden. Hoher Druck blockiert die meisten der Enzyme, die am Stoffwechsel beteiligt sind.«
    »Also, warum bin ich dann nicht krank?«
    »Wie ich schon sagte, es ist sehr effizient. Der menschliche Körper enthält genügend Spurenelemente, um es eine Weile am Leben zu erhalten. Es ist sehr genügsam. Angeblich sollen Ihre Knochen irgendwann porös werden …«
    »Das ist es? Das ist die Bedrohung? Eine Osteoporose-Seuche?« Scanlon lachte laut. »Dann holen Sie um Gottes willen sofort den Kammerjäger …«
    Das Geräusch von Rowans Hand, die auf den Tisch schlug, war sehr laut.
    »Ich will Ihnen sagen, was passiert, wenn dieses Ding freigesetzt wird«, sagte sie ruhig. »Im ersten Moment gar nichts. Wir sind ihm zahlenmäßig überlegen. Anfangs besiegen wir es noch durch unsere bloße Anzahl. Die Modelle sagen alle möglichen Scharmützel und Fehlstarts voraus. Aber irgendwann wird es Fuß fassen. Dann verdrängt es die gewöhnlichen Zersetzer und beherrscht unsere anorganische Nahrungsgrundlage. Und damit wird die gesamte trophische Pyramide an der Basis abgeschnitten. Sie und ich, die Viren und die Mammutbäume gehen einfach ein, weil es uns an Stickstoff oder irgendeinem anderen Nährstoff mangelt. Willkommen im Zeitalter von ßehemoth.«
    Scanlon schwieg einen Moment lang. Dann fragte er: »Behemoth?«
    »Mit einem Beta am Anfang. Betaleben. Im Gegensatz zu Alpha – dem ganzen Rest.« Rowan schnaubte leise. »Es wurde nach irgendeinem biblischen Geschöpf benannt. Einem Tier. Einem Grasfresser, glaube ich.«
    Scanlon massierte sich die Schläfen und dachte angestrengt nach. »Einmal angenommen, Sie