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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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der aus den Überresten mehrerer Tiere zusammengesetzt wurde und wunderschöne Zacken hat. Zusammengefaltet liegt er da, zwei seiner Arme zeigen nach oben. Einige wenige Röhrenfüßchen, die noch am Leben sind, wiegen sich schwach in der Strömung. Flaumige Pilze wuchern aus dem Zickzackmuster der Nähte auf seinem Rücken.
    Am Rand des Rauchers zeigt ihr Thermistor 54 °C an, doch das hat nichts zu bedeuten. Der Raucher könnte die nächsten hundert Jahre ruhen oder auch jeden Augenblick ausbrechen. Sie versucht, eine Verbindung zu den Bodenbewohnern herzustellen, um wie Acton instinktive Einsichten von ihnen zu erhalten, doch in Wirbellose konnte sie sich noch nie sonderlich gut hineinversetzen. Vielleicht gewinnt man solche Fähigkeiten erst, wenn man die Zehn-Prozent-Grenze überschritten hat.
    Sie hat es noch nie zuvor gewagt, in diesen Raucher hinabzusteigen.
    Er ist sehr eng. Sie bleibt im Innern des Schlots stecken, noch ehe sie drei Meter weit gekommen ist. Sie dreht und windet sich. Weiche Brocken Schwefel und Kalzium lösen sich von den Wänden. Mit dem Kopf voran kriecht sie weiter. Die Arme werden ihr überm Kopf zusammengedrückt wie schwarze Antennen mit Gelenken. Es ist nicht genug Platz, um sie neben ihrem Körper zu belassen.
    Sie füllt die Öffnung des Schlots so vollständig aus, dass kein Licht von der Hauptstraße mehr hereinfällt. Sie schaltet ihre Stirnlampe ein. In dem Lichtstrahl wirbelt ein flockiger Schneesturm.
    Einen Meter weiter unten macht der Tunnel eine Biegung nach rechts. Sie glaubt nicht, dass sie um die Biegung herumkommt. Und wenn doch, weiß sie, dass der Durchgang verstopft ist. Sie weiß das deshalb, weil vor ihr der Fuß eines kalkverkrusteten Skeletts um die Ecke ragt.
    Sie schiebt sich weiter voran. Plötzlich ist ein Dröhnen zu hören, und einen Moment lang ist sie wie gelähmt, weil sie glaubt, dass der Raucher ausbricht. Doch das Dröhnen hat seinen Ursprung in ihrem Kopf. Etwas hat die Ansaugöffnung des Elektrolyseurs verstopft, und ihre Sauerstoffvorräte gehen zur Neige. Es ist nur Lenie Clarke, die das Bewusstsein verliert.
    Sie wirft sich hin und her, obwohl ihr nur wenige Zentimeter Platz bleiben. Doch das reicht aus – ihre Ansaugöffnung ist wieder frei. Außerdem ist es ihr dadurch gelungen, sich weit genug voranzuschieben, dass sie um die Ecke blicken kann.
    Actons abgekochtes und mit Mineralablagerungen überkrustetes Skelett verstopft den Durchgang. Klumpen aus geschmolzenem Copolymer kleben an seinen Überresten wie altes Kerzenwachs. Irgendwo in seinem Innern befindet sich ein Stück menschlicher Technologie, das immer noch funktioniert und seinen Schrei an Beebes betäubte Sensoren hinausschickt.
    Sie kann ihn nicht erreichen. Es gelingt ihr kaum, ihn zu berühren. Doch trotz der Verkrustungen kann sie erkennen, dass sein Genick gebrochen ist.

Reptil
    Es hat vergessen, was es einmal gewesen ist.
    Hier unten spielt das ohnehin keine Rolle. Was nützt einem ein Name, wenn niemand da ist, der einen damit ansprechen könnte? Es weiß nicht, woher es stammt. Es erinnert sich nicht mehr an die anderen, die es vor langer Zeit vertrieben haben. Oder an den Tyrannen, der einst oben auf seinem Rückenmark gethront hat – eine gallertartige Schicht aus Sprache, Kultur und verleugneter Herkunft. Es erinnert sich nicht einmal mehr daran, wie dieser Unterdrücker sich langsam aufgelöst hat und schließlich in Dutzende autonome, miteinander im Widerstreit stehende Unterprogramme zerfallen ist. Inzwischen sind selbst diese verstummt.
    Der Cortex lässt nicht mehr allzu viel von sich hören. Höchstens von den Parietallappen und Occipitallappen gehen noch ein paar schwache Impulse aus. Im Hintergrund ist das Summen des motorischen Zentrums zu vernehmen. Und hin und wieder führt das Broca-Areal ein paar Selbstgespräche. Der Rest ist größtenteils tot und dunkel, von einem schwarzen Ozean abgeschliffen, der so heiß und lebendig sein kann wie Dampf oder so kalt und zähflüssig wie Frostschutzmittel. Was von seinem Verstand übriggeblieben ist, gleicht nur noch einem Reptil.
    Blind und gedankenlos schwimmt es weiter, ohne das Gewicht von vierhundert flüssigen Atmosphären wahrzunehmen, das auf ihm lastet. Es isst, was immer es finden kann, und verlässt sich dabei auf seine Eingebung, die ihm sagt, was essbar ist und was es zu meiden gilt. Entsalzer und Recycler sorgen dafür, dass es nicht austrocknet. Manchmal ist die alte Säugetierhaut mit den Überresten

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