Abiona - Das Bündnis (German Edition)
Dann senkte er seine Stimme auf ein verschwörerisches Maß und sprach plötzlich schnell und eindringlich.
»Der Einfluss der Menschen auf unser Volk ist größer, als wir angenommen haben. Ihr frevelhaftes Gedankengut gleicht einem Geschwür, das sich hier im Verborgenen ausgebreitet hat und uns unserer Identität beraubt.
Wir können Euch Namen nennen! Alle Namen, die an den geheimen Versammlungen teilnahmen, die Eure Tochter einberief. Vielleicht erkennt Ihr dann die Zusammenhänge. Wir sprechen von Kor Ko Ran, Torda Fun, Este Van,…«
»Schweigt!« Die Herrscherin hatte sich zu ihm umgewandt und ihr Gesicht funkelte zornig. »Wir sind nicht töricht! Schon lange beobachten wir die Zusammenhänge, doch diese zu deuten, ist allein UNSERE Aufgabe!«
Ju Lissanto verbeugte sich knapp, machte eine dienende Handbewegung und schwieg. Die Dunkle schritt wortlos umher, tief in ihren schwarzen Gedanken versunken. Nach einigen Augenblicken hob sie den Kopf. »Holt mir Este Van, bevor er nur noch Asche ist. Die Schutzummantelung um Abi Iona bleibt vorerst bestehen, bis wir ihn verhört und entschieden haben!«
Wieder verneigte sich der Zweite und verließ den Raum ohne weitere Nachfragen. Die Dunkle Herrscherin sah ihm nach und schmerzhafte Blitze durchzuckten ihr Inneres. Sie war zutiefst erbost, war sie doch von ihrer eigenen Tochter, der sie mehr als jedem anderen hier vertraut hatte, gedemütigt und hintergangen worden. Das riss eine tiefe, schmerzende Wunde in ihre Substanz. Sie musste dringend den Nebel aufsuchen, um sich zu regenerieren. Doch würde sie ihn nicht allein betreten. Sie würde Este Van in den Nebel zwingen und so ergründen, ob Ju Lissantos Vermutungen mehr waren als Versuche, sie geschmeidig zu beeindrucken. Im Nebel gab es keine Lügen. Hier waren sie alle miteinander verbunden.
Sie hörte Schritte und wandte sich mit einem leichten Lächeln um. Doch ihr Lächeln erstarb und wich einem ungläubigen Gesichtsausdruck, als sich die Herbeikommenden näherten. Denn es war nicht Este Van, der von Ju Lissanto an der Schulter gefasst hereingeschoben wurde. Es war…
»Abi Iona?! Wie kann das sein? Wo ist Este Van?«
Die flüchtige Überraschung, die sich angesichts der plötzlichen Genesung des Jungen kurz in ihrem Gesicht gespiegelt hatte, wich schnell aufbrausender Ungeduld und sie wandte sich Ju Lissanto zu. »Erklärt dies oder Ihr werdet für ihn leiden!«
»Wir kamen wohl… zu spät«, schnaufte Ju Lissanto. »Als wir hereinkamen war der Alkoven verschwunden und dieser hier…«, er verabreichte Abiona einen harten Stoß in den Rücken, so dass der Junge einige Schritte nach vorne stolperte und auf den Boden fiel, »saß in einer Ecke und starrte Löcher in die Luft. Er reagierte erst, als wir ihn abführten. Von Este Van fehlt jede Spur! Wir hätten ihn bewachen sollen!«
Abiona hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, irgendetwas Wichtiges verpasst zu haben. Was war passiert? Und was war mit Estevan? Er konnte sich an rein gar nichts erinnern!
Ju Lissanto indes schritt nervös umher, so dass Abiona ihn aus den Augenwinkeln beobachten konnte. Der blonde Dämon war ihm unbekannt. Doch verstärkte sich seine Abscheu gegen den Zweiten mit jedem Satz und jeder kriecherischen Geste, die dieser von sich gab.
»Steht auf!«, drang die Stimme der Dunklen Herrscherin an sein Ohr. Sie war nähergetreten und musterte ihn jetzt interessiert. Abiona bemühte sich, der Aufforderung nachzukommen. Dabei roch er ihr süßes aschiges Aroma und erinnerte sich daran, dass er es nicht mochte. Er hielt den Blick gesenkt und dachte nach. Warum suchten sie nach Este Van und was hatte das alles mit ihm zu tun?
Schwache Erinnerungen an seine Flugstunden und an die Versammlung der Abs stiegen in ihm auf. Doch er schob sie beiseite, aus Angst, die Dunkle würde seiner Miene entnehmen, über was er nachdachte.
Die Dunkle Herrscherin sah ihn lange an, dann griff sie mit ihren scharfen Fingernägeln unter sein Kinn und musterte ihn mit ihren dunklen Augen eingehend. »Sprecht! Woran erinnert Ihr Euch?«
»An nichts«, gab Abiona knapp zurück. Er räusperte sich und hustete rau. Seine Stimme klang dunkel und heiser, als hätte er sie lange Zeit nicht benutzt und sein Kopf fühlte sich merkwürdig leer an, so als wüsste er nicht mehr, wie man Erinnerungen abrief und Gedanken formte.
Der bohrende Blick der Herrscherin wurde härter. Ihre schlanken Finger umschlossen stärker seinen Hals und drückten plötzlich
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