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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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sich mit dem Handrücken die Stirn abwischt. Ja, einen
Schinken-Käse-Toast und ein Spargel-Canapee (und ich werde die internationale
Auskunft anrufen, um Jankas Telefonnummer herauszufinden, vielleicht hat Janka
ein Telefon, vielleicht hat Janka ein Telefon, das noch funktioniert und:
internationale Auskunft, das klingt doch schon wie ein Versprechen), seit wann
kannst du nicht mehr anrufen, frage ich Dragana. Seit diese gottlosen Krieger,
meine Serben!, angefangen haben, von den Bergen zu schiessen. Ich schwöre dir,
die machen mit uns, was sie wollen, erzählen uns, dass wir uns schon immer
gehasst haben, die Serben, Kroaten und Muslime, ja, das würde ich gern glauben,
glaubt ja niemand, der Herz hat, wir sind alle Bosnier, glaubsch mir?, alle ihre Verwandten, die sich
immer als Bosnier gefühlt hätten, so Dragana, werden jetzt als bosnische
Serben bezeichnet, ihre Stadt, die sie lieben, die von Serben belagert wird,
von Serben und Kroaten und Muslimen beschossen wird (und wenn es einen Irrsinn
gibt im Kopf, dann dreht er sich immer schneller, er dreht sich rasend schnell
um solche Begriffe), und Dragana fingert nach den Spargeln in der Dose, und
dabei möchte ich wissen, warum sie auf dem Mond gelandet sind, Ildikö, die Politiker muesch doch alle
in ein Rakete inestopfe und uf Mond ufeschüsse, und wenn sie dann noch
genügend Benzin haben, können sie weiterfliegen, damit sie endlich ihren
richtigen Gott finden, uns in Ruhe lassen, und Dragana spricht immer
schneller, ihr Gemisch aus Schweizerdeutsch und Hochdeutsch, das sich immer
mehr im serbokroatischen Singsang verliert, Draganas Konsonanten, die
miteinander zu tanzen scheinen, Sarajevo ist bald ganz tot, wirst sehen, und
sie bestreicht eine Toastscheibe mit Senf, belegt sie mit Schinken und Käse,
das Ei hüpft inzwischen im heissen Wasser, warum glaubt jeder in Welt,
wir Serben sind Menschenfresser, Ildi?, und Dragana klemmt das belegte, bestrichene Toastbrot
in den Toaster, Dragana und ich, zwei Tiere, die sich in die Augen schauen,
wir, die Todfeinde sein müssten, weil Dragana bosnische Serbin ist oder
serbische Bosnierin? und ich zur ungarischen Minderheit in Serbien gehöre (der
Irrsinn, der sich weiter dreht, in meinem Kopf, in allen Köpfen), und es ist
absurd und absolut möglich, dass einer meiner Cousins desertiert, weil er als
Ungar nicht in der jugoslawischen Volksarmee kämpfen will, es kann sein, dass
ihn einer von Draganas Cousins erschiesst, weil er bei der jugoslawischen
Volksarmee kämpft und Deserteure erschossen werden; es kann aber auch sein,
dass einer von Draganas Cousins desertiert, weil er sich als Bosnier fühlt, als
bosnischer Serbe nicht in der jugoslawischen Volksarmee kämpfen will, es kann
sein, dass dann mein Cousin Draganas Cousin erschiesst, weil mein Cousin nicht
desertiert ist, für die jugoslawische Volksarmee kämpft, um vielleicht sein
eigenes Leben zu retten; aber möglicherweise werden beide erschossen, von einem
Muslimen, einem Kroaten, einem Blindgänger, von einer Mine zerfetzt, irgendwo,
an einem unbekannten Ort, im Niemandsland, während wir hier zusammen Brötchen
streichen, in unserer Küche.
    (Unsere Gäste, sind sie
deutsche Schweizer oder schweizerische Deutsche?)
    Dragana, die das Ei in den
Becher setzt, mir den weissen Teller mit dem Canapee in die Hand drückt, den
Toast musst du dir später holen, sagt sie, und ich, ich setze mich endlich in
Bewegung, Richtung Buffet.
     
    An diesem Apriltag lässt mich
der Gedanke an Janka nicht mehr los, und ich versuche, die Anzahl der Jahre zu
finden, die wir uns nicht mehr gesehen haben, ich klopfe den Satz in den dafür
vorgesehenen Behälter, fülle den Kolben mit frischem Kaffeepulver, neun Jahre
müssen es sein, denke ich, und ich merke nicht, wie ich das braune Pulver
andrücke, ob ich es mit einer leichten Handbewegung tue oder ob der Druck zu
stark ist, ich glaube, es sind neun Jahre, und natürlich höre ich Jankas
Stimme, obwohl ich sie nur ein Mal gehört habe, das Ohr hat ein erstaunlich
gutes Gedächtnis, und ich spanne den Kolben in die Halterung, muss Nomi, die
heute serviert, fragen, ob sie einen hellen oder einen dunklen Milchkaffee
bestellt hat, ob sie einen frisch gepressten Orangensaft, dies oder jenes
bestellt hat, Dragana, die aus der Küche nach mir ruft, der Toast!, und
logischerweise muss Nomi fragen, auf welchem Planeten ich mich gerade befinde,
ja, das frage ich mich auch, müsste ich antworten, ich müsste jetzt weit
ausholen, sagen,

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