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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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intuitiv den Stoff seines Hemdes zur Seite. Und sah, dass die Haut an seiner Schulter nicht bloß gerötet, sondern knallrot verfärbt war. Ganz eindeutig entwickelte sich dort ein riesiger blauer Fleck. »Verdammt«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Nate!«
    Er rückte noch näher, bedeckte seine Hand mit meiner, drückte sie fest. Und küsste mich wieder. Unvermittelt, intensiv,beschwörend. Als wollte er meine letzten beiden Worte sowie alles, was vorher gewesen war und diese Reaktion ausgelöst hatte, mit Gewalt wegdrängen. Der Kuss war so leidenschaftlich, so köstlich, dass ich fast hätte vergessen können, was bis zu diesem Moment gewesen war. Aber auch nur fast.
    »Nein.« Ich löste mich von ihm. Er rührte sich nicht, seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von meinen entfernt, doch ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
    »Ruby.« Die Art, wie er meinen Namen sagte, brach mir fast das Herz; doch gleichzeitig sah ich nichts anderes als den beiseitegeschobenen Stoff seines Hemdes. Sah das, was sich darunter verborgen hatte. Es ließ sich einfach nicht wegdrängen. Punkt.
    »Nur, wenn du dir von mir helfen lässt«, sagte ich. »Du musst mich näher an dich ranlassen. Mir vertrauen.«
    Nun zog er sich zurück. Schüttelte den Kopf. Über seine Schulter hinweg nahm ich erneut das Flimmern der Poolbeleuchtung wahr: Alien-artig, unwirklich, außerirdisch. »Und falls nicht?«, fragte er.
    Ich schluckte heftig. »Dann bleibt es beim Nein«, antwortete ich. »Dann musst du gehen.«
    Eine Sekunde lang dachte ich, er würde es nicht tun. Dass ich ihn endlich überzeugt hätte. Durch meine Klarheit, meine Entschiedenheit, mehr als durch alle Worte. Doch noch während mir das durch den Kopf ging, stand er auf. Das Hemd rutschte zurück. Wir entfernten uns voneinander. Alles wurde wieder so wie zuvor.
Du brauchst es dir nicht so schwer zu machen
, wollte ich sagen. Aber es hatte Zeiten gegeben, da hätte auch ich so einen Satz nie akzeptiert. Wer war ich denn schon? Das Mädchen, das alles getan hatte, um zu verhindern, dass ihr geholfen wurde.Und ich wollte Nate nun einreden, er müsse sich helfen lassen? Ausgerechnet?
    »Nate«, rief ich, doch er war schon fast weg. Lief mit gesenktem Kopf unter den Bäumen entlang. Ich blieb sitzen, blickte ihm nach, bis er zwischen ihnen verschwunden war.
    Langsam stand ich auf, einen dicken Kloß im Hals. Sein Geschenk lag noch auf der Bank. Ich nahm es, betrachtete das rosenfarbene Papier, die sorgfältig gebundene Schleife. So hübsch anzusehen, schon von außen   – es spielte fast keine Rolle, was drinsteckte.
    Ich ging ins Haus zurück. Versuchte krampfhaft, Haltung zu bewahren, ein möglichst gelassenes Gesicht zu machen. Nur rasch hoch in mein Zimmer! Nur allein sein! Mehr wollte und konnte ich im Moment nicht. Doch ich hatte kaum einen Fuß auf die unterste Treppenstufe gesetzt, als Cora, eine Pralinenschachtel in der Hand, aus dem Wohnzimmer kam. Immer noch lief ihre CD, und zwar jetzt gerade Janis Joplin. »Möchtest du vielleicht auch   –?« Sie hielt mitten im Satz inne. »Alles in Ordnung?«
    Ich wollte gerade »Ja, natürlich« sagen, doch noch bevor ich einen Ton rausbringen konnte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich drehte mich zur Wand, unterdrückte ein Schluchzen, versuchte, mich zusammenzureißen. Spürte, wie sie sich näherte. »Hey, was ist denn los?« Sanft strich sie mir das Haar von den Schultern.
    Ich schluckte. Wischte mir mit der Hand über die Augen. »Nichts.«
    »Erzähl’s mir.«
    Zweieinhalb Worte. So leicht gesagt. Doch noch während ich das dachte, legte ich auch schon los. Tat das, wozu Cora mich aufgefordert hatte. »Ich weiß einfach nicht, wie man jemandem helfen soll, der sich nicht helfen lassen will«,sagte ich mit einer Stimme, die in meinen Ohren richtig fremd klang. So krächzig. »Was tut man, wenn man nichts tun kann?«
    Sie schwieg einen Moment. In der Stille, die nun folgte, bereitete ich mich innerlich auf das vor, was nun kommen würde. Denn ich wusste, die nächste Frage würde noch kniffeliger sein, schwerer zu beantworten, mich tiefer in die Sache reinziehen. Aber sie sagte etwas ganz anderes, als ich erwartet hatte, nämlich: »Ach Ruby, ich weiß. Ich weiß, wie schwer das ist.«
    Ich konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. Alles verschwamm mir vor Augen. »Ich   –«
    »Mir hätte klar sein müssen, dass die CD dich an all das erinnert«, fuhr sie fort. »Natürlich. Das war echt dumm von mir.

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