Abraham Lincoln - Vampirjäger
aber auch diese fing er ab, verdrehte mir die Arme und zwang mich auf die Knie. Mich so festhaltend, kniete er sich hinter mich und näherte sich meinem Hals mit seinen Fängen. »Nein!«, schrie Lamon. Die anderen hielten ihn zurück. Ich spürte die Spitzen dieser beiden Rasierklingen auf meiner Haut.
»Tu es!«, rief ich.
Der einzige Frieden im Leben liegt darin, ihm ein Ende zu bereiten …
»Tu es, ich bitte dich!«
Ich spürte, wie winzige Blutstropfen meinen Hals hinabliefen, als seine Fänge sich in meine Haut bohrten. Ich schloss die Augen und machte mich darauf gefasst, dem Unbekannten zu begegnen; meine geliebten Söhne wiederzusehen … aber es sollte nicht sein.
Plötzlich ließ Henry von mir ab.
»Manche Menschen sind einfach zu interessant, um sie zu töten, Abraham«, sagte er und stand auf. Er nahm erneut Hut und Mantel und ging zur Tür, auf meine drei verängstigten Wachen zu, deren Herzen noch schneller zu klopfen schienen als meines.
»Henry … «
Er drehte sich noch einmal um.
»Ich werde diesen Krieg zu Ende führen … aber ich möchte keinen einzigen Vampir mehr sehen, solange ich lebe.«
Henry machte eine leichte Verbeugung. »Mr. President … «
Damit verschwand er.
Abe würde ihn in diesem Leben nicht wiedersehen.
ZWÖLF
»HUNGERT DIE TEUFEL AUS«
Sehnlich ist unsere Hoffnung und innig unser Gebet, dass diese gewaltige Geißel des Krieges schnell vorüberziehen möge. Aber wenn Gott verfügt, dass er andauert … bis jeder Blutstropfen, der mittels Peitsche vergossen wurde, mit einem weiteren, der durch das Schwert vergossen wurde, bezahlt ist, so gilt noch immer, was bereits vor dreitausend Jahren gesagt wurde: »Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz.«
Abraham Lincolns zweite Antrittsrede am 4. März 1865
I
Washington D. C. war unter Beschuss geraten, und Abe ließ sich die Gelegenheit, die Kämpfe aus nächster Nähe zu verfolgen, nicht entgehen.
Am 11. Juli 1864 ritt er, allen Appellen seines Leibwächters zum Trotz, allein nach Fort Stevens 58 , wo der konföderierte General Jubal A. Early siebzehntausend Rebellen zu einem dreisten Angriff auf Washingtons nördliche Abwehr führte. Der Präsident wurde von Offizieren der Union empfangen und rasch ins Fort gebracht, wo er sich in der Sicherheit hinter dicken Steinmauern erholen und einen kühlen Drink nehmen konnte.
58 Die Schlacht von Fort Stevens stellt den einzigen Fall in der amerikanischen Geschichte dar, dass ein amtierender Präsident im Krieg unter direktem Beschuss stand.
Ich war nicht hergekommen, um mich verhätscheln oder mir die Kampfhandlungen beschreiben zu lassen – ich war gekommen, um die Gräuel des Krieges mit eigenen Augen zu schauen. Um zu sehen, was andere in diesen drei langen Jahren erlitten hatten, während ich hinter den schützenden Mauern des Überflusses geblieben war. Sosehr sie sich auch mühten, die Offiziere konnten mich nicht davon abhalten, über den Schutzwall zu spähen, um unsre tapferen Soldaten dabei zu beobachten, wie sie Stellung bezogen und sich ehrenhaft gegenseitig abschossen – um zu sehen, wie sie vom [Kanonenfeuer] zerrissen und von Bajonetten durchbohrt wurden.
Der Anblick von Abraham Lincoln, der mit seinem Zylinder über die Schutzmauer spähte, muss den Scharfschützen der Rebellen bei Fort Stevens an jenem Tag wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Drei Kugeln zischten in ebenso wenigen Minuten haarscharf an ihm vorbei und versetzten seine Aufpasser in schreckliche Panik. Als schließlich ein Offizier der Union, der neben ihm stand, am Kopf getroffen und getötet wurde, spürte der Präsident ein Zerren am Mantelsaum und hörte den ersten Leutnant [und späteren Richter am Obersten Bundesgerichtshof] Oliver Wendell Holmes rufen: »Kommen Sie da runter, Sie gottverdammter Idiot!«
Aber er blieb dort.
Er hatte die Angst vor dem Tod vollends verloren.
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Es gab keine Vampire mehr im Weißen Haus. Abe hatte sie nach Willies Tod und seinem Zusammenstoß mit Henry des Hauses verwiesen. Sogar die Dreifaltigen – seine fähigsten und erbittertsten Beschützer – waren nach New York zurückgeschickt worden.
Ich werde diese Union retten, weil sie Rettung verdient. Ich werde sie retten, um die Männer zu ehren, die sie mit ihrem Blute und ihren Begabungen schufen, und für die künftigen Generationen, die die Freiheit verdienen. Ich werde jede meiner elenden Stunden der Sache von Sieg und Frieden widmen – aber ich soll verdammt sein,
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