Abraham Lincoln - Vampirjäger
seine Familie zu kümmern.
Im Winter 1819, ein gutes Jahr nach Nancys Tod, verkündete er plötzlich, dass er »für ein bis zwei Wochen« fortmüsse – und dass die Kinder, wenn er wieder zurückkäme, eine neue Mutter hätten.
Das kam recht überraschend für uns, denn wir hatten ihn das ganze Jahr über kaum ein Wort murmeln hören und gar nicht bemerkt, dass er sich mit solchen Absichten trug. Ob er bereits eine bestimmte Frau im Auge hatte, verriet er nicht. Ich fragte mich, ob er vielleicht vorhatte, eine Anzeige in der Gazette aufzugeben, oder einfach durch die Straßen streifen und der nächstbesten Frau ohne Begleitung einen Antrag machen wollte. Keines von beidem, das muss ich zugeben, hätte mich besonders überrascht.
Abe und Sarah wussten nicht, dass Thomas durchaus schon eine gewisse Dame im Auge hatte, und zwar eine kürzlich verwitwete Bekannte aus Elizabethtown (genau jener Stadt also, in der er seine Nancy dreizehn Jahre zuvor kennengelernt hatte). Er hatte vor, einfach unangemeldet vor ihrer Tür zu stehen, ihr einen Antrag zu machen und sie mit nach Little Pigeon Creek zu bringen. Das war sein ganzer Plan.
Für Thomas bedeutete diese Fahrt ein Ende seiner stillen Trauer. Für den neunjährigen Abe und seine elfjährige Schwester Sarah war es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie völlig auf sich allein gestellt waren.
Nachts ließen wir eine Kerze in der Mitte des Raumes brennen, versteckten uns unter unseren Decken und verbarrikadierten die Tür mit Vaters Bett. Ich weiß nicht, wovor wir uns zu schützen suchten, nur dass wir uns wohler fühlten, wenn wir es taten. Wir lagen lange wach und lauschten den Geräuschen, die von allen Seiten zu uns drangen. Tiergeräusche. Entfernte Stimmen, die zu uns herübergetragen wurden. Das Knacken von Zweigen, wenn etwas um die Hütte schlich. Wir lagen zitternd in unseren Betten, bis die Kerze erlosch, und stritten uns dann flüsternd darüber, wer das sichere Versteck unter der Decke verlassen musste, um eine neue anzuzünden. Als Vater zurückkehrte, bekamen wir beide eine Tracht Prügel, weil wir in so kurzer Zeit so viele Kerzen verbraucht hatten.
Thomas hatte Wort gehalten. Als er wiederkam, wurde er von einer Kutsche begleitet. Darin befand sich aller weltlicher Besitz (oder zumindest so viel davon, wie in den Wagen passte) seiner frischgebackenen Angetrauten Sarah Bush Lincoln und deren drei Kinder: Elizabeth, dreizehn; Matilda, zehn, und John, neun. Abe und seiner Schwester musste der Anblick eines Wagens voller Möbel, Uhren und Geschirr wie »die Schatzkammer eines Maharadschas« vorkommen. Und für die neue Mrs. Lincoln war der Anblick dieser barfüßigen, verschmutzten Kinder sicher ebenso schockierend. Also wurden sie noch am selben Abend ordentlich abgeschrubbt.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Sarah Bush Lincoln eine einfache Frau war. Sie hatte tiefliegende Augen und ein schmales Gesicht, was ihr ein ewig hungriges Aussehen verlieh. Sie hatte eine hohe Stirn, deren Anmutung noch verstärkt wurde durch den strengen Knoten, zu dem sie ihr Haar immer zurücksteckte. Sie war dürr, hatte X-Beine, und am Unterkiefer fehlten ihr zwei Zähne. Aber ein Witwer mit kaum einer Perspektive im Leben und weniger als zwei Dollar in der Tasche konnte nicht wählerisch sein. Genauso wenig wie eine Frau mit drei Kindern und einem Berg Schulden. Ihre Verbindung basierte rein auf der guten alten Vernunft.
Abe hatte sich fest vorgenommen, seine Stiefmutter zu hassen. Von dem Moment an, als sein Vater ihnen seine Absicht eröffnet hatte, wieder zu heiraten, hatte er Pläne ausgeheckt, wie er ihr das Leben schwermachen, sich Fehler ausgemalt, die er ihr ankreiden könnte.
Deshalb kam es mir sehr ungelegen, dass sie in Wahrheit eine nette, fürsorgliche und ausgesprochen einfühlsame Frau war. Einfühlsam vor allem auch angesichts der Tatsache, dass unsere heißgeliebte Mutter im Herzen von meiner Schwester und mir immer einen besonderen Platz einnehmen würde.
Wie Nancy vor ihr, bemerkte auch die neue Mrs. Lincoln Abes Leidenschaft für Bücher und beschloss, diese zu fördern. Unter den Habseligkeiten, die sie aus Kentucky herübergekarrt hatte, war auch ein American Spelling Book von Noah Webster, das sich als wahre Goldgrube für den Jungen entpuppte, der auf eine Schulbildung weitgehend hatte verzichten müssen. Sarah, die wie ihr neuer Ehemann weder lesen noch schreiben konnte, bat Abe oft, ihr nach dem Abendbrot aus der Bibel vorzulesen. Dem
Weitere Kostenlose Bücher