Abraham Lincoln - Vampirjäger
recht überrascht von meiner Größe – und noch viel überraschter waren sie wohl von der Wucht, mit der ich ihnen meinen Knüppel über den Schädel zog. Ich verfolgte sie an Deck (wobei ich mir mit ähnlicher Wucht den eigenen Kopf an einem Querbalken anschlug). Erst jetzt konnte ich sie im Mondlicht genauer erkennen. Es waren Neger – sieben an der Zahl. Die anderen fünf waren eifrig dabei, unseren Kahn loszumachen. »Fort mit euch, ihr Teufel!«, schrie ich. »Bevor ich euch allen die Schädel einschlage!« Um ihnen deutlich zu machen, wie ernst ich es meinte, drosch ich einem von ihnen den Knüppel vor die Brust und holte gleich darauf zu einem weiteren verheerenden Hieb aus. Doch erwies sich das als unnötig. Die Neger suchten das Weite. Als sie davonrannten, sah ich an den Knöcheln eines der Fliehenden eine zerschlagene eiserne Fußfessel und wusste sofort Bescheid. Dies waren keine gewöhnlichen Diebe. Es handelte sich um Sklaven. Höchstwahrscheinlich von eben der Plantage entflohen, vor der wir angelegt hatten, und sie hatten wohl gehofft, die Spürhunde abzuhängen, indem sie sich mit unserem Boot davonmachten.
Auch Gentry war von dem Tumult erwacht und half Abe, die übrigen Sklaven zu vertreiben. Als sie sich sicher waren, dass sie sie vorerst in die Flucht geschlagen hatten, lösten die beiden Männer die Schiffstaue und riskierten es, den Mississippi bei Nacht entlangzuschippern.
Wir legten ab. Allen saß vorn am Bug, hielt die Laterne und spähte in die Nacht. Ich stand am Ruder oben auf unserer Kabine und versuchte uns genau in der Mitte des Flusses zu halten. Ich konnte mir nicht verkneifen, einen Blick zurück ans Ufer zu werfen, und da sah ich eine weiße Gestalt von der Plantage zum Fluss laufen. Es war wohl einer der Aufseher, der seine Sklaven zurückholen wollte. Aber der Mann, diese kleine, weiße Gestalt, hielt nicht etwa am Fluss an. Stattdessen sprang er mit einem unglaublichen Satz ans gegenüberliegende Ufer. Die Neger flohen also nicht vor Menschen oder Hunden.
Sie flohen vor einem Vampir.
Ich dachte kurz daran, den Kahn in die schlammige Uferböschung zu steuern. Daran, das Bündel, das ich unter meiner Schlafstätte verbarg, zu holen und die Verfolgung aufzunehmen. Ich weiß nicht, ob ich den Versuch als hoffnungslos ansah oder die Opfer als unwürdig. Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich nicht anhielt. Allen (dem langsam dämmerte, wie knapp er dem Tode entronnen war), fing an, eine Flut von Flüchen loszulassen, solcher Art, wie ich sie noch nie gehört hatte, und von denen ich nur die Hälfte überhaupt verstand. Er verwünschte sich dafür, dass er nicht daran gedacht hatte, eine Muskete mitzunehmen, und verfluchte diese »Hurensöhne«. Ich schwieg dazu, konzentrierte mich allein darauf, uns genau in der Mitte des Stroms zu halten. Ich brachte es nicht übers Herz, unsere Angreifer zu hassen, denn mir war klar, dass sie lediglich versucht hatten, ihr eigenes Leben zu retten. Und dabei hatten sie es eben für nötig erachtet, mir meines zu nehmen. Allen schimpfte weiter vor sich hin. Irgendetwas von wegen »nichtsnutzige Schwarze«.
»Scher sie nicht alle über einen Kamm«, mahnte ich.
II
Allen und Abe erreichten New Orleans gegen Mittag des 20. Juni. Sie schlängelten sich durch die immer enger werdenden Biegungen des Mississippi auf dem Weg ins Stadtzentrum, wo sie die noch verbleibenden Waren an einem der belebten Kais verkaufen und ganz am Ende sogar ihren Kahn abstoßen wollten. Sie wurden von einem leichten Nieselregen empfangen, eine willkommene Abkühlung nach der drückend schwülen Hitze, die den Großteil ihrer Reise den Fluss hinunter geherrscht hatte.
Der nördliche Teil der Stadt kam zuerst in Sicht – weitläufig und belebt. Aus Farmen wurden Häuser. Aus einzelnen Häusern ganze Straßenzüge, die von zweistöckigen Ziegelbauten mit schmiedeeisernen Balkonen gesäumt waren. Es gab eine beträchtliche Anzahl von Segelbooten! Jede Menge Dampfer! Hunderte von Lastkähnen, und alle wetteiferten sie lautstark um ihr kleines Stück vom Ufer des riesigen Flusses.
New Orleans hatte damals etwa vierzigtausend Einwohner und war im Süden das Einfallstor zur großen weiten Welt. Wenn man die Kais entlangspazierte, traf man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Seeleute aus allen Ecken Europas und Südamerikas – und sogar einige aus dem Orient.
Wir konnten unsere Fracht gar nicht schnell genug loswerden. Wie wir darauf brannten, die Stadt der
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