Abraham Lincoln - Vampirjäger
Geschichtensammlung und bestach den Drucker, ihm die wahre Identität des Autors zu verraten. »Kurz darauf wurde ein Mr. Guy de Vere bei mir vorstellig, ein Witwer mit einem beträchtlichen Vermögen. Er erklärte mir, wie er an meinen Namen gelangt und dass er von meinen Arbeiten sehr angetan sei. Dann fragte er mich, was ein Vampir beim Militär zu suchen hätte.«
Guy de Vere war überzeugt, dass nur ein Vampir so kundig über Tod und Kummer schreiben und Gedichte von so finstrer Schönheit ersinnen konnte.
»Er war verblüfft, einen Menschen als ihren Schöpfer vorzufinden. Aber ich war genauso verblüfft darüber, mich mit einem Untoten zu unterhalten.«
Poe war unendlich fasziniert von dem würdevollen, sich von Blut nährenden de Vere, und de Vere von dem schwermütigen, brillanten Poe. Die beiden knüpften zarte Freundschaftsbande, ebenso wie es bei Henry und Abe der Fall gewesen war. Aber Poe interessierte sich nicht für das Wesen der Vampire, um sie hinterher besser jagen zu können, er wollte vielmehr in Erfahrung bringen, wie es war, in Dunkelheit zu leben und den Gesetzen des Todes entronnen zu sein, um besser darüber schreiben zu können. De Vere kam diesem Wunsch nur allzu gerne nach (nachdem die Herren sich darauf verständigt hatten, dass Poe in seinen Veröffentlichungen de Veres Identität nicht offenbaren würde) 13 .
13 Ein Einvernehmen, das Poe 1843 vergessen zu haben schien, als ihm de Vere als Vorlage für eine Figur in »Lenore« diente.
Einige Monate, nachdem er de Veres Bekanntschaft gemacht hatte, wurde Poes Regiment nach Fort Moultrie in South Carolina verlegt. Ohne eine Stadt, in der er seinem Bedürfnis nach kulturellen Zerstreuungen nachgehen konnte, und ohne die Möglichkeit, seinen Durst nach mehr Wissen über Vampire zu stillen, kam ihm das Militär plötzlich wie ein Gefängnis vor.
Deshalb hatte er beschlossen, sich selbst einen »inoffiziellen Urlaub« zuzugestehen, und sich nach New Orleans begeben, mit dem erklärten Vorsatz, »das Wesen der Vampire zu studieren« – denn de Vere hatte ihm versichert, es gäbe »dafür keinen besseren Ort in ganz Amerika«. Aber gemessen an den unzähligen Whiskeygläsern, die er leerte, verfolgte er außerdem das Ziel, sich zu Tode zu saufen. Eines Abends saßen wir wieder einmal im Saloon in der Nähe von Mrs. Laveaus Pension. Allen Gentry hatte sich bereits verabschiedet, um »mit gewissen Damen zu verkehren«, also konnten wir endlich über das Thema reden, das uns am liebsten war, über das wir jedoch nicht offen vor anderen zu sprechen wagten. Wir unterhielten uns bis tief in die Nacht und teilten uns gegenseitig alles mit, was wir im Zusammenhang mit Vampiren bereits gelesen, gehört oder persönlich erlebt hatten.
»Wie erlernen sie das Blutsaugen?«, fragte Abe, als der Wirt bereits die leere Taverne zu fegen begann. »Und woher wissen sie, dass sie sich von der Sonne fernhalten müss…«
»Woher weiß ein Kalb, dass es aufstehen muss? Eine Honigbiene, wie … wie sie einen Bienenstock baut?«
Poe bestellte noch ein Glas.
»Es liegt ganz einfach in ihrer Natur. So lautet die ebenso einfache wie schöne Antwort. Dass Sie solche Wesen auslöschen wollen, Mr. Lincoln, solch überlegene Kreaturen, kommt für mich Wahnsinn gleich.«
»Und dass Sie mit solcher Ehrfurcht von ihnen sprechen, halte ich für den reinsten Wahnsinn.«
»Können Sie sich so etwas vorstellen? Können Sie sich vorstellen, das Universum durch ihre Augen zu sehen? Der Zeit und dem Tod ins Gesicht zu lachen? Die Welt ihr Garten Eden, ihre Bibliothek, ihr Harem … «
»Ja, und ich kann mir ebenso vorstellen, dass es mir an Kameradschaft fehlte und an Seelenfrieden.«
»Nun ja, ich kann mir eher vorstellen, dass es mir an rein gar nichts fehlte! Denken Sie nur, die Reichtümer, die man anhäufen, die Annehmlichkeiten, die man sich damit leisten könnte, all die Wunder der Welt, die man in aller Ruhe erkunden könnte!«
»Und wenn dieser Rausch erst einmal verflogen ist … wenn jedes Verlangen gestillt und jede Sprache erlernt ist – wenn es keine fernen Städte mehr zu erkunden gibt, keine Klassiker zu studieren und man sich keine Münzen mehr in die Taschen stopfen kann. Was dann? Man kann über alle Annehmlichkeiten der Welt verfügen, aber wofür taugen sie, wenn man dennoch keinen Trost findet?«
Abe erzählte Poe ein Volksmärchen, eines, das er einst von einem der Reisenden an der Old Cumberland Road gehört hatte.
Es war einmal ein Mann,
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