Abraham Lincoln - Vampirjäger
und das Bett waren fort, und die Hütte war nur mehr ein leerer Raum. Als ich die hintere Tür öffnete, fand ich dort keine Treppe, die zu den Zimmern darunter führte, sondern nichts als glatte, festgestampfte Erde. War Henrys Geheimversteck komplett zugeschüttet worden? Oder hatte ich in meinem Delirium von dem unterirdischen Stockwerk nur fantasiert?
Abe sollte nicht mehr lange genug in Indiana bleiben, um die Wahrheit über Henrys Verschwinden herausfinden zu können. Er schrieb etwas in sein Tagebuch, riss die Seite heraus und hängte sie an einen Nagel über Henrys Feuerstelle.
ABRAHAM LINCOLN
WESTLICH VON DECATUR , ILLINOIS
WOHNHAFT BEI MR. JOHN HANKS
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Diesmal hielt New Orleans wenig von der Magie bereit, die es bei Abes erstem Besuch versprüht hatte, und so war er darauf erpicht, so schnell wie möglich die Geschäfte abzuwickeln und einen Raddampfer gen Norden zu erwischen. Doch sie blieben ein paar Tage, damit sein Stiefbruder und sein Cousin die Gelegenheit bekamen, die Stadt ihrerseits zu erkunden. Er selbst ging kaum aus, denn er wollte nicht auf eine weitere Sklavenauktion stoßen oder einem dieser ungesitteten Vampire begegnen. Dennoch schaute er im Saloon in der Nähe von Mrs. Laveaus Pension vorbei – nicht etwa, um sich zu betrinken, sondern in der vagen Hoffnung, dort auf seinen alten Freund Edgar Poe zu treffen. Aber er hatte kein Glück.
Denton Offutt war so zufrieden mit Lincolns Arbeit, dass er ihn bei ihrer Rückkehr nach Illinois gleich wieder verpflichten wollte. Für Offutt war der Sangamon River eine zweihundertfünfzig Meilen lange Gelegenheit zum Geschäftemachen. Die Ufergebiete florierten, und überall sprossen Siedlungen und neue Städte aus dem Boden. Viele der dortigen Siedler glaubten, dass der Fluss schon bald leichter zu befahren sein würde und dass ihnen die Dampfer dann Reisende und Güter im Überfluss vor die Tür spülen würden. Auch Offut glaubte daran. »Denk an meine Worte«, sagte er, »der Sangamon ist der neue Mississippi. Die Siedlung von heute ist die Stadt von morgen.« Wenn es etwas gab, das Offutt mit Sicherheit wusste, dann das, dass jede wachsende Stadt einen Gemischtwarenladen brauchte und ein paar Leute, die ihn betrieben. Und so kam es, dass Abraham Lincoln und Denton Offutt schließlich nach New Salem zurückkehrten, dem Schauplatz ihrer berüchtigten Panne am Damm, um sich dort niederzulassen.
New Salem befand sich auf einer schroffen Anhöhe am Westufer des Sangamon und bestand aus einer dicht gedrängten Ansammlung von Blockhütten, Werkstätten, einer Mühle und einem Schulhaus, das sonntags auch als Kirche diente. Der Ort umfasste insgesamt an die hundert Einwohner.
Mr. Offutts Laden würde erst in einem Monat eröffnet werden, und ich befand mich in der ungewohnten Situation, dass ich viel Zeit, aber wenig zu tun hatte. Deshalb war ich sehr erleichtert, als ich die Bekanntschaft von Mr. William Mentor Graham machte, einem jungen Lehrer, der meine Liebe zu Büchern teilte und der mich mit der Kirkham-Grammatik vertraut machte, die ich daraufhin so lange studierte, bis ich jede einzelne Regel und jedes Beispiel auswendig konnte.
Die Geschichtsbücher erinnern an Abraham Lincolns großen Intellekt, aber darüber wird oft vergessen, dass er in jenen Tagen noch eher groß als intellektuell war. Wie sein Vater hatte er eine natürliche Begabung, wenn es um Worte ging. Aber wenn es hieß, sie korrekt niederzuschreiben, dann blieb er ein Opfer seiner mangelnden Bildung. Mentor Graham half ihm dabei, die Versäumnisse auszumerzen, und erwies sich als Schlüsselfigur für Lincolns Fähigkeit, sich später im Leben eloquent auszudrücken.
Als der kleine Laden schließlich mit allerlei Waren gefüllt war, machte sich Abe an die Arbeit, notierte Bestellungen, führte Inventarlisten und bezirzte die Kunden mit geistreichen Bemerkungen und allerlei Fakten. Er und Offutt verkauften Kochgeschirr, Laternen, Stoffe und Tierfelle. Sie maßen Zucker und Mehl ab und füllten Pfirsichbrandy, Öle und roten Essig aus Fässern hinter dem Ladentisch in Flaschen ab. »Alles für jeden zu jeder Zeit«, so lautete ihr Leitspruch. Zusätzlich zu seinem mageren Gehalt bekam Abe Warenzuteilungen und Logis in einem kleinen Hinterzimmer des Ladens. Dort las er oft bei Kerzenschein oder schrieb bis spät in die Nacht in sein Tagebuch.
Und wenn die Kerze heruntergebrannt war und die anderen Siedler sich längst schlafen gelegt hatten, dann schlüpfte er in seinen Mantel
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