Abraham Lincoln - Vampirjäger
Wahl.
Zum zweiten Mal in fünf Jahren spielte er mit dem Gedanken an Selbstmord. Und zum zweiten Mal war es der letzte Wunsch seiner Mutter, der ihn davon abhielt, seinem Leben ein Ende zu setzen.
John T. Stuart war bei Verwandten. Alle bis auf einige wenige von Abes Mitabgeordneten waren abgereist, um den Jahreswechsel in ihren Heimatbezirken zu begehen. Es gab nur eine Person in ganz Springfield, an die Abe sich wenden konnte.
»Aber du liebst sie doch!«, rief Speed. »Warum zum Teufel würdest du so etwas Dummes tun?«
Abe saß auf seinem Bett in dem winzigen Zimmer über dem A. Y. Ellis & Co. – dem Bett, das er mit der leicht wunderlichen »lästigen Schmeißfliege« teilte, die auch jetzt nervös durchs Zimmer schwirrte.
»Ich vergehe vor Sehnsucht nach ihr, Speed … aber ich kann nicht.«
»Wegen ihres Vaters? Derselbe, der dir erst vor einer Woche seinen Segen gab?«
»Ebender.«
»Du vergehst vor Sehnsucht nach ihr … ihr Vater hat euch seinen Segen gegeben. Du musst mir wirklich erklären, wie man hier in Illinois um eine Frau wirbt, denn offenbar habe ich da irgendetwas völlig missverstanden.«
»Inzwischen habe ich erfahren, dass ihr Vater an dunklen Machenschaften beteiligt ist. Dass er den schlimmsten Umgang pflegt. Damit will ich nichts zu tun haben.«
»Wenn ich eine Frau so lieben würde wie du Mary, dann könnte ihr Vater mit dem Teufel persönlich tafeln, es würde nichts an meinen Gefühlen für sie ändern.«
»Du begreifst nicht … «
»Dann mach es mir begreiflich! Wie kann ich dir helfen, wenn du in Rätseln sprichst?«
Es brannte Abe auf den Lippen.
»Du kannst darauf vertrauen, dass ich jedes Geheimnis bewahre, Lincoln.«
»Wenn du sagst ›mit dem Teufel tafeln‹, nun … dann bist du näher an der Wahrheit, als dir bewusst ist. Ich sagte, er pflegt den schlimmsten Umgang. Was ich damit wirklich sagen will … er ist mit dem Bösen im Bunde, Speed. Im Bunde mit Kreaturen, die sich nicht um menschliches Leben scheren. Kreaturen, die dich oder mich töten und dabei so viel Reue verspüren würden wie ein Elefant, der auf eine Ameise tritt.«
»Ach … du meinst, er ist mit den Vampiren im Bunde.«
Abe spürte, wie das Blut aus seinen Fingerspitzen wich.
III
Joshua Speed hatte sich inmitten der anderen »wohlerzogenen Jungs« der ehrwürdigen St. Josephs Academy, die er besucht hatte, nie wohlgefühlt. Er spielte gerne Streiche. Erzählte Witze. Er hatte von einem Leben im wilden Grenzland geträumt, »wo man selten Menschen traf und einem trotzdem ständig Pfeile um die Ohren zischten«. Er hatte den Gedanken nicht ertragen können, das ruhige, privilegierte Leben seines Vaters fortzuführen. Er hatte sich nach mehr gesehnt – wollte eigene Wege gehen und die Welt sehen. Als er neunzehn geworden war, hatte ihn diese Sehnsucht nach Springfield geführt, wo er einen Anteil an A. Y. Ellis erwarb. Aber Bestellungen auszufüllen und Inventurlisten zu pflegen hatte sich nicht als das abenteuerliche Leben entpuppt, das er sich immer gewünscht hatte.
Anfang 1841, kurz nach Abes verhängnisvollem ersten Januar, verkaufte Speed seine Anteile am Laden und kehrte nach Kentucky zurück. Den Raum über dem Geschäft hatte Lincoln nun ganz für sich allein.
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In Farmington angekommen. Muss schlafen.
Es war August, und Abe war zu Besuch auf das Anwesen der Familie Speed nach Farmington, Kentucky, gekommen, um den dringend benötigten Abstand von seinen Sorgen zu bekommen. Er hatte sich seit Monaten nicht hinausgewagt, aus Angst, Mary oder ihren Freunden zu begegnen. Außerdem war sein Name »in den Salons von ganz Springfield zum Schimpfwort« geworden. Speed hatte seinem früheren Zimmergenossen geschrieben und darauf bestanden, er möge »so lange bleiben, bis seine Probleme beigelegt« seien.
Abe war entspannter als die ganzen letzten Jahre und als er je wieder sein würde. Er unternahm gemächliche Ausritte über das Anwesen. Wagte sich nach Lexington. Vertrödelte ganze Nachmittage auf der Veranda des riesigen Plantagengebäudes (übrigens das erste, in das er selbst Fuß setzte, wenn man von seinen Alpträumen einmal absieht). Wenn das Leben in Farmington einen Nachteil hatte, dann lag dieser in dem unausweichlichen Anblick von Sklaven. Sie waren einfach überall – im Haus und auf den Feldern.
Als ich heute die Straße in die Stadt entlangritt, sah ich ein Dutzend Neger, zusammengekettet wie Fische an einer Leine. Es bereitet mir erhebliches Unbehagen, unter ihnen zu
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