Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
Überresten der Demokratischen Armee emigriert sind, haben sie schon vor ihrer Ankunft ihre baldige Rückkehr gefeiert«, flüstert er ihr zu, damit ihn die anderen nicht hören. »Erst als sie in Taschkent ankamen, wurde ihnen klar, dass ihnen noch harte Zeiten bevorstehen.«
»Das hier ist keine Feierlaune, sondern Hass, Onkel Lambros«, meint Fanis. »Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg macht sich in Europa wieder blanker Hass breit.«
Noch eine Fontäne aus Banknoten steigt hoch in den Nachthimmel. »Das sind Lire für unsere italienischen Freunde. Um ihnen zu zeigen, dass wir ihnen beistehen und an sie denken.«
Nun spielt die Kapelle eine italienische Melodie.
»Darf ich was fragen, Mister?«, meint ein Schwarzer, der zusammen mit seiner Frau neben mir das Schauspiel verfolgt.
»Nur zu.«
»Ich und mein Frau zahlen fünftausend Dollar, um in Land mit Euro zu kommen. Und jetzt wir haben Drachme. Fünftausend Dollar nur für Drachme?«
»C’est la vie«, bemerkt die Frau an seinem Arm.
Ich frage Katerina, die am Französischen Kulturinstitut Unterricht genommen hat, was »C’est la vie« bedeutet.
»So ist das Leben«, übersetzt sie.
Genau. So ist das Leben, heute. Aber morgen, wie sieht es da aus?
2
Um Sissis’ Vergleich weiterzuspinnen: Das Exil in Taschkent hat für uns alle genau am ersten Januar begonnen. Nicht einmal eine Gnadenfrist wurde uns gewährt, damit wir uns in unserem neuen Zuhause einrichten können, das nicht mehr ist als ein Auffanglager. Nur gibt hier nicht, wie zu Sissis’ Zeiten, die Parteileitung den Ton an, sondern die modernen Einpeitscher: die Massenmedien mit den Fernsehsendern an vorderster Front.
Adriani hatte sich seit dem frühen Morgen in der Küche verbarrikadiert, um das Neujahrsessen vorzubereiten, zu dem die ganze Familie eingeladen war. Prodromos und Sevasti hatten wie immer, wenn sie in Athen waren, in Katerinas altem Zimmer übernachtet.
Wenn Adriani am Kochen ist, gehe ich ihr lieber aus dem Weg, da sie sich dann leicht aufregt und das an mir auslässt. Also machte ich es mir im Wohnzimmer vor dem Fernseher gemütlich. Ich stand immer noch unter dem Eindruck der Silvesterereignisse mit den durch die Luft tanzenden Banknoten, dem Jubelgeschrei, den Freudentänzen und dem frenetischen Applaus.
Vielleicht hoffte ich, dass die Party auf dem Bildschirm weitergehen würde. Als ich auf den Einschaltknopf drückte, erschienen anstelle der Drachmenscheine zwei vierzigjährige Journalisten vor mir, die den Vizefinanzminister in die Mangel nahmen. Und was sie nicht alles wissen wollten – wie lange die Banken geschlossen bleiben würden, ob die Spareinlagen der Griechen sicher seien und ob der Staat Löhne und Renten zahlen könne. Obwohl die Fragen nicht auf mich, sondern auf den Vizeminister niederprasselten, hatte ich das Gefühl, man dresche auf mich ein, bis mir schwarz vor Augen wurde.
Prodromos hatte neben mir Platz genommen und schweigend mitgeguckt. Doch anscheinend war seine Geduld schneller erschöpft als meine, denn er packte die Fernbedienung und wechselte den Sender. Da musste man mit ansehen, wie ein Paar Anfang siebzig mit zwei Holzstöcken im Müll wühlte. Als sie die Kamera bemerkten, verbargen sie ihre Gesichter und wandten sich ab.
»Das sind nun die ersten Bilder des Jahres 2014«, bemerkte der Reporter.
Zum Glück trafen kurz darauf die Kinder ein, und die Stimmung hellte sich wieder auf. Adriani hatte im Ofen geschmorten Lammbraten mit Backkartoffeln zubereitet, Sevasti ihre Spezialität Krautrouladen beigesteuert und Katerina den am wenigsten aufwendigen Teil, den Salat.
»Schau mal, Fanis, auch wenn unsere Taschen leer sind, gefülltes Gemüse gibt’s im Überfluss«, lachte Katerina. »Die Tomaten und Paprika von meiner und die Krautrouladen von deiner Mutter. Da muss ich mir ein Beispiel nehmen, sonst krieg ich noch Komplexe.«
»Du solltest besser lernen, wie man Wildkräuterpitta oder Risotto zubereitet«, meinte Sevasti. »Zu mehr reicht’s jetzt nicht mehr.«
»Hör bloß auf, Sevasti. Die Fernsehbilder deprimieren uns schon genug«, erwiderte Prodromos, worauf Sevasti verstummte.
Nun, um zehn Uhr morgens am ersten Arbeitstag des neuen Jahres, sitze ich allein in meinem Büro. Koula unterzieht meinen Laptop einer Generalinspektion, und inzwischen überbringt mir Vlassopoulos, der heute spät dran ist, seine Neujahrswünsche.
»Alles Gute! Viel Vergnügen mit dem neuen Laptop, Herr Kommissar!« Er macht eine Pause und
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