Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
der Ankunftshalle zu begleiten.
»Wäre es zu viel verlangt, Herr Kommissar, wenn ich Sie um tausend Drachmen bäte?«, sagt er zu mir an der Tür. »Das ist der genaue Gegenwert einer Spanakopitta.«
So weit sind wir schon: Ein Armer gibt dem noch Ärmeren Almosen. Ich ziehe einen Tausender heraus.
»Der Anzug, den ich trage, stammt aus der Zeit, als ich noch Arbeit hatte«, erklärt er mir. »Ein paar Jahre habe ich ihn nicht mehr angehabt, aber mittlerweile ist das Betteln ein weitverbreiteter Beruf, also trage ich meine frühere Arbeitskleidung wieder. Meine Aufgaben habe ich stets mit Würde und Anstand verrichtet, mein Herr. Nochmals besten Dank.«
Er drückt mir die Hand und wendet sich um, während ich auf den Parkplatz zusteuere.
24
Auf dem Korridor treffe ich Dermitsakis, der mir zur Begrüßung fast in die Arme fällt.
»Was zahlen Sie für eine gute Neuigkeit?«, ruft er begeistert.
»Zahlen, Dermitsakis? Hellas ist das Land der unerfüllten Wünsche und der uneingelösten Versprechen. Wer zahlt heutzutage noch?«
»Der Staat! Unser Gehalt!«, sagt er, versetzt meiner Freude jedoch gleich einen Dämpfer. »Das heißt, erst mal für zehn Tage. Nur, dass die zehn Arbeitstage nur noch einen Wochenlohn wert sind. Vielleicht entspricht die Bezahlung auch nur noch fünf Arbeitstagen.«
»Wieso?«, wundere ich mich.
»Weil die Drachme gestern schon wieder abgewertet wurde. Jetzt kostet ein Euro nicht mehr fünfhundert, sondern sechshundert Drachmen.«
Zwar gilt der Spruch: »Bei Dürre ist auch der Hagel ein Segen«, doch wenn wir pro Monat bloß das Gehalt für zehn Tage – oder in Wahrheit einen Wochenlohn – bekommen, sind die Aussichten düster. Der Euro, von dem wir einst so begeistert waren, hat sich in einen Teuro verwandelt, der unsere gesamten Rücklagen verschlingt. Dennoch beschließe ich, nicht in Gejammer zu verfallen und mich stattdessen darüber zu freuen, dass wenigstens das Gehalt für zehn Tage auf meinem Konto eingeht. Eine milde Gabe sozusagen, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe.
Dann rufe ich Katerina an, gebe ihr den Link durch und bitte sie, im Internet nach Theologis’ abgekupferter Arbeit zu suchen. Das könnte ich zwar auch selbst tun – jetzt, da ich dank Ulis deutscher Gründlichkeit Rückenwind beim Surfen im Internet verspüre. Doch ich habe einfach mehr Vertrauen in Katerinas juristische Kenntnisse.
Das neue Zweiergespann Dermitsakis und Papadakis erstattet mir Bericht über seine gestrigen Ermittlungen auf dem Campus des Polytechnikums.
»Niemand hat einen Schuss gehört«, sagt Papadakis, »obwohl zur Tatzeit in den Vorlesungssälen Unterricht stattfand. An dem Abend war es kalt, wie Sie sich erinnern werden, und die Gegend lädt nicht gerade zu Spaziergängen ein. Kann sein, dass der Mörder eine Waffe mit Schalldämpfer benutzt hat. Andererseits ist auch denkbar, dass der Schuss einfach überhört wurde.«
Seine Schlussfolgerung ist überzeugend und fügt diesem nach wie vor undurchsichtigen Fall ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu. Möglicherweise ist der Täter psychisch krank, vielleicht ist er ein Terrorist. Kann sein, dass er sich an den Vertretern der Generation Polytechnikum rächt. Genauso gut könnten die beiden Opfer aber auch in üble Machenschaften verstrickt sein, die schließlich zu ihrem Tod führten. Womöglich hatte die Waffe einen Schalldämpfer, vielleicht aber auch nicht. Das alles lässt uns, in Verbindung mit der kalten Witterung, nur wenig Hoffnung, dass irgendein Zeuge einen Unbekannten oder etwas Verdächtiges in der Umgebung des Neubaus bemerkt hat. Nichtsdestotrotz stelle ich meine Frage und erhalte die erwartete Antwort.
»Nein, Herr Kommissar, keiner hat irgendetwas gesehen«, erwidert Dermitsakis.
Da unterbricht ein Anruf von Gonatas unser Gespräch. »Können Sie in mein Büro kommen?«
»Gibt’s was Neues?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagt er und bestätigt damit meinen Eindruck von vorhin. »Das besprechen wir besser persönlich.«
Bevor ich mich auf den Weg zu Gonatas’ Büro mache, ruft auch noch Spyridakis an. »Wann kann ich Sie sprechen?«
»In circa einer halben Stunde hätte ich Zeit.«
»Schön, dann komme ich vorbei.«
Erst in Gonatas’ Büro in der vierten Etage komme ich wieder zu Atem.
»Da bin ich ja mal gespannt«, sage ich, nachdem ich ihm gegenüber Platz genommen habe.
»Erhoffen Sie sich nicht allzu viel«, erwidert er und bringt mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
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