Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
Der Zuschlag für die öffentlichen Aufträge erfolgte mit großer Verspätung, und dann standen wir unter Zeitdruck.«
»Anders ausgedrückt waren Sie also gezwungen, ausländische Arbeiter ins Land zu holen, weil die griechische Bürokratie die Bauarbeiten verzögert hat?«
Erneut zeichnet sich auf seinem Gesicht ein spöttisches Lächeln ab.
»Die griechische Bürokratie, Herr Kommissar? Die zuständigen Minister mussten doch bloß entscheiden, wie sie die Aufträge gerecht unter ihre Gefolgsleute verteilen. Zugegebenermaßen war Jerassimos Demertsis einer davon, aber nicht der Einzige.«
»Nein, aber einer der größten Günstlinge. Denn die Frau des für die olympischen Sportanlagen zuständigen Vizeministers war und ist an Ihrer Firma beteiligt.«
Diesmal erstirbt ihm das Lächeln auf den Lippen. Schweigend blickt er mich an.
»Herr Petrakos, ich komme weder von der Steuerfahndung noch vom Finanzministerium«, stelle ich klar. »Deshalb interessieren mich weder die illegalen Aktivitäten und steuerlichen Regelverstöße Ihres Unternehmens noch die der Domotechniki. Ich bemühe mich, den Mord an Demertsis aufzuklären, und meine Fragen dienen ausschließlich dazu, zielführende Hinweise zu sammeln.«
»Bei beiden Firmen gibt es nichts, das Sie zu Jerassimos Demertsis’ Mörder führen könnte, Herr Kommissar. Das sage ich aus voller Überzeugung. Wir haben nur das getan, was alle anderen Firmen auch taten. Damals hatte keiner Angst vor behördlichen Kontrollen, denn die olympischen Sportanlagen mussten einfach rechtzeitig fertig sein. Da wurde alles durchgewinkt.«
Dann verstummt er. Und auch ich schweige, da ich weiß, dass er recht hat. Warum sollte jemand Demertsis töten, wenn doch ausnahmslos alle vom System profitierten?
»Wenn jetzt die Steuerfahndung oder das Finanzamt noch nachbohren will, bitte sehr. Demertsis ist tot, sein Sohn hat uns vor zwei Tagen über seine Anwältin – das heißt Ihre Tochter – erklärt, dass er die Erbschaft ausschlägt, und seine Ehefrau, die zweite Erbin, liegt im Krankenhaus und ist nicht ansprechbar. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis die Domotechniki Insolvenz anmeldet.«
»Insolvenz?«, wundere ich mich.
»Tja, ohne Bauvorhaben? Die Firma ist vollkommen verschuldet und kann die Kredite nicht bedienen. Sie kann nicht einmal mehr die Personalkosten decken. Und kein Investor will sie übernehmen. Was bleibt uns da noch übrig?«
Jetzt begreife ich die depressive Stimmung, die mir entgegenschlug, als ich die Firma betrat, und mir wird bewusst, dass ich Kyriakos Demertsis unbedingt einen Besuch abstatten muss. Die Stimme der Vernunft rät mir, Spyridakis mitzunehmen. Doch ich fürchte, dass Kyriakos dann die Schotten dicht macht.
Als ich die Büros der Domotechniki verlasse, bin ich um keinen Deut klüger geworden. Ich rufe Koula an. Sie soll das Korydallos-Gefängnis informieren, dass ich Kyriakos Demertsis besuchen möchte.
Mit einem Stoßgebet mache ich mich auf den Weg, aber zum Glück dauert die weite Fahrt dorthin weniger lang, als ich befürchtet habe. Der Direktor erwartet mich in seinem Büro. »Kyriakos erteilt seinen jungen Mitgefangenen gerade Unterricht. Ich lasse ihn sofort holen«, sagt er.
»Warten Sie einen Augenblick, Herr Direktor. Zuerst würde ich gern hören, was für einen Eindruck Sie von Kyriakos gewonnen haben. Jetzt kennen Sie ihn ja schon besser.«
»Nun, Herr Kommissar, er macht einen untadeligen Eindruck. Nicht nur als Gefangener, sondern auch als Mensch. Er unterhält sich mit den jungen Häftlingen, hört sich ihre familiären Probleme an und steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Die Auseinandersetzungen unter den Inhaftierten haben nachgelassen, Kyriakos ist ein Geschenk des Himmels. Stellen Sie sich vor, wir haben alle jungen Häftlinge in seinen Flügel verlegt. Das Einzige, was er sich ausbedungen hat, ist, dass man ihn zwei Stunden täglich allein lässt, damit er in Ruhe lesen und nachdenken kann.«
Ein vorbildlicher Gefangener also, der das Talent hat, junge Menschen innerhalb und außerhalb des Gefängnisses zu organisieren. Warum ist Kyriakos ins Gefängnis gegangen? Die Frage treibt mich um – nicht, weil sie unmittelbar mit der Ermordung seines Vaters zu tun hätte, sondern weil ich keine Antwort darauf finde.
Sobald er mir gegenüber Platz genommen hat, stelle ich sie.
»Warum fragen Sie? Sie kennen doch den Grund. Ich war als Drogendealer ein blutiger Anfänger, und Ihre Leute haben mich erwischt«,
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