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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Überhaupt, sagte sie, du bist in letzter Zeit allgemein zu grob. Das verstehe ich so nicht, sagte er. Sie schwieg. Abschaffel bildete sich auf seine Zartheit viel ein. Vor Aufregung über diesen Vorwurf konnte er kaum richtig nachdenken. Tatsächlich hatte er nicht bemerkt, daß er in der Eile der allgemeinen Enttäuschungen schon manchmal dazu übergegangen war, nur noch zu sich selbst zart zu sein. Mit sich selbst war er genauso zart wie früher, vielleicht sogar noch mehr als früher, weil es immer mehr darauf ankam, sich selbst zart nachzugeben, sich selbst weich zu verstehen. Nur hatte er diese teilweise Umwandlung, diese fortschreitende Beschlagnahmung seiner Zartheit für seine eigenen, inneren Zwecke nicht bemerkt. Er glaubte, zu jeder Frau, wenn er es nur wollte, zart sein zu können, und er war der Meinung, daß er zu Margot zart war. Verdutzt lag er da. Soll ich dir einmal sagen, wie du in letzter Zeit mit mir umgehst? fragte sie. Ja, sagte er. Du hast zum Beispiel drei Arten, mir an die Brust zu greifen. Die erste geht so, sagte sie, daß du eine Brust in deiner Hand liegen haben willst. Wenn du das möchtest, greifst du einfach hin und umschließt eine Brust mit deiner Hand und drückst daran herum. Die zweite Art geht so, daß du mit Zeigefinger und Daumen an meiner Brustwarze zupfst. Ich weiß nicht, ob das für dich schön ist, wahrscheinlich denkst du, es sei für mich schön. Es ist aber nicht schön für mich, es tut mir manchmal sogar ein bißchen weh, sagte sie. Und die dritte Art ist die blödsinnigste von allen; dann legst du deine Hand flach auf meine Brust und machst kreisförmige Bewegungen, immer im Kreis herum drehst du deine Hand mit meiner Brust darunter, ein richtiges Herumrühren ist das. Ich weiß nicht, wie das gekommen ist bei dir, sagte sie; vor einem halben Jahr war es nämlich noch ganz anders.
    Er war vollkommen stumm geworden. Er wußte überhaupt nicht, was er Margot sagen sollte. Es war wie damals, als er von der Mutter ausgeschimpft wurde. Auch damals hatte es für ihn keine Möglichkeit der Entgegnung gegeben. Er schwieg und drehte Margot den Rücken zu. Er erinnerte sich an seine Überzeugung, daß er in seiner Kindheit und Jugend so oft ausgeschimpft worden war, daß heute niemand mehr das Recht hatte, es noch einmal zu tun. Schon längst hatte er an jedermann ein stilles Verbot ausgesprochen, ihm irgend etwas vorzuwerfen. Tatsächlich saß er nun in einem Flugzeug und flog hoch in den Wolken, und unten lag die arme Margot, die nicht wußte, daß sie sein Beanstandungsverbot gebrochen hatte. Er war der einzige Gast in seinem Privatflugzeug, und niemand begegnete ihm bei seinem weiten, unangefochtenen Flug.
    Margot schwieg. Abschaffel drehte sich wieder um. So schön sein Flug war, er mußte wieder herunterkommen auf das Bett, auf dem er neben Margot lag, und natürlich wurde aus dem leichten Flugzeug seiner Verletztheit, als es landete, eine dicke schwere Maschine. Er war in das tiefste Beleidigtsein zurückgefallen, das ihm überhaupt möglich war. Margot wartete darauf, daß er etwas sagte. Er sagte nichts, sondern grub sich weiter ein. Er versuchte, etwas zu denken, aber er dachte nicht wirklich, sondern ließ sich nur etwas durch den Kopf ziehen. So glitten ihm drittklassige Beschwerden durch den Kopf, an denen er sich befriedigte. Kein Mensch wird irgendwo erwartet, phantasierte er und hörte gleich wieder damit auf, weil er bemerkte, daß er sich nicht wirklich beschweren wollte, aber was wollte er denn? Er konnte nicht mehr aus seiner Lähmung herausfinden, die anhielt, seit Margot sich bei ihm beschwert hatte. Er hatte das Gefühl, schon inmitten eines Unglücks zu sein, und er mußte auf jeden Fall der erste sein, der sich aus dem Unglück zurückzog. Er drückte sich hoch und setzte sich auf den Bettrand. Er holte sich seine Zigaretten und den Aschenbecher, der auf dem Boden in Reichweite des Betts stand. Das Streichholz, das er anzündete, zischte nur kurz auf und verlöschte. Als beim zweiten Streichholz dasselbe geschah, wollte er schon gegen die heutige Streichholzfabrikation Stellung nehmen. Sie verwenden zuwenig Phosphor, überlegte er. Er legte die Zigarettenschachtel, Streichhölzer und Aschenbecher weg und schlug die Beine übereinander. An den Außenrändern seiner Fußsohlen hatten sich wieder Hornhautringe gebildet, und er begann sofort, mit den Fingernägeln daran herumzukrubben. Er riß sich kleine Hautfetzen herunter und steckte sie sich in den

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