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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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elf hat er einen neuen Schlaganfall gehabt, und den hat er nicht mehr überlebt, sagte Mörst; auf der Fahrt ins Krankenhaus ist er gestorben. Es war eine schöne, Ruhe schaffende Nachricht. Es war ein wenig wie damals, als Gersthoff zum erstenmal umgefallen war. Ein Schreck war im Büro, der sich in eine natürliche Andacht umwandelte, und Andacht war genau das, was Abschaffel in seiner Situation brauchte. Es war, als hätte er den Kollegen das Scheitern seines Plans mitgeteilt und anschließend um ein wenig Stille und Gedenken gebeten, und weil seine Kollegen feine Menschen waren, erfüllten sie ihm die Bitte. Es bereitete ihm Genuß, als der Lärmtakt der Buchungsautomaten langsamer wurde und schließlich ganz aufhörte, wenigstens für eine Weile. Man müßte jeden Tag einen toten Angestellten betrauern können, dachte Abschaffel, dann wäre das Leben erträglicher. Gersthoff war gerade noch rechtzeitig gestorben, damit seine eigene, verspätete Abschiedsfeier im Nebenzimmer der BRATPFANNE ausfiel. Der Präsentkorb, der Gersthoff heute abend überreicht werden sollte, stand auf der Fensterbank in der Nähe von Mörsts Schreibtisch. Leider löste sich die Andacht im Büro schon wieder auf. Die Kollegen gingen dazu über, Gersthoff ernst gemeinte Vorwürfe nachzuschicken. Nach Ansicht von Mörst lag der Grund für Gersthoffs schreckliches Ende in seiner laschen Haltung zur Gewerkschaft. Mörst war so begeistert davon, daß es Gewerkschaften gab, daß er kaum noch über die lebensbeendende Wirkung von Schlaganfällen nachdenken konnte. Frau Schönböck – Abschaffel fuhr zusammen, als er ihre Stimme wieder so frisch hörte – verurteilte Gersthoffs starkes Rauchen. Fräulein Schindler machte das allgemeine ungesunde Leben verantwortlich. Abschaffel schwieg und hörte still zu. Seine Stimmung besserte sich leicht. Es amüsierte ihn, daß die Kollegen Gründe für den Tod suchten. Sie redeten, als gebe es eine Lebensweise, die den Tod am Ende ausschloß. Der Tod braucht keinen Grund, dachte Abschaffel. Er fühlte, daß es ihm in diesen Minuten gelang, sich über die Kollegen zu erheben. Er glaubte, viel klüger zu sein als alle seine Kollegen zusammen. In gekränktem Schweigen verhöhnte er das Gerede der anderen. Als sie endlich aufhörten, über Gersthoffs Lebensfehler zu sprechen, war Abschaffel überzeugt, daß ihnen die Qualifikation fehlte, über tragische Ereignisse zu sprechen. Es konnte nur daran liegen, daß sie keine bedeutsamen Erfahrungen machten. Er war überzeugt, daß er in diesem Büro der einzige war, der durch die Tiefe seiner Lebenserfahrungen das Recht hatte, sich als besonderer Mensch zu fühlen. Was die anderen beschäftigte, war entweder die Anschaffung eines Schlauchboots, die neueste Schlankheitskur oder die Täuschung eines Jugoslawen. Gegen Abschaffels gescheiterten Versuch, sich von der Arbeit zu befreien, war das Leben der anderen ein idiotischer Zeitvertreib, dessen Idiotie nur deshalb unentdeckt blieb, weil er außer idiotisch auch noch unterhaltsam war.
    Abschaffels Überheblichkeit hielt den ganzen Vormittag und Teile des Nachmittags über an. Eine Stunde vor Feierabend lud ihn Fräulein Schindler überraschend zu einem Geburtstagsfest am Donnerstagabend in ihre Wohnung ein. Er hatte vergessen, daß er vorige Woche selbst fünf Mark für ein Geburtstagsgeschenk für Fräulein Schindler gespendet hatte. Frau Hannemann aus der Buchhaltung (das ganze Jahr über hörte man nichts von ihr, aber wenn ein Geburtstag herannahte, begann sie zu sammeln und zu organisieren und freute sich, daß es ihr wenigstens bei diesen Gelegenheiten gelang, aus sich herauszugehen) war mit der Sammelbüchse im Büro herumgegangen. Abschaffel dankte für die Einladung und sagte: Geht in Ordnung. Später fragte er sie, wen sie noch eingeladen hatte, und sie zählte auf: Frau Hannemann natürlich, Frau Schönböck, die Lehrlinge Bosch und Moser, ihn, Herrn Hornung und ihren neuen Freund. Die Zusammenstellung beunruhigte Abschaffel. Stundenlang hatte er sich im Kopf von all diesen Personen abgewandt, und nun wurde er wieder mit ihnen zusammen eingeladen. Es war unerklärlich und quälend. Er stürzte sich in Überlegungen, wie er in die von Fräulein Schindler zusammengestellte Gruppe hineingeraten war. Es war möglich, daß Frau Schönböck in Fräulein Schindler eine Vertraute gefunden und ihr davon erzählt hatte, wie unglaublich sich Abschaffel ihr gegenüber verhalten hatte. Und es war deshalb möglich,

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