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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Taschenrechner. Und ganz billig, sagte er. Er gab Abschaffel den Rechner in die Hand, und Abschaffel tippte tatsächlich, um Hornung nicht zu kränken, eine leichte Addition in die Maschine. Hat nur neunundzwanzig Mark neunzig gekostet, sagte Hornung, im Kaufhof. Offenbar glaubte er, Abschaffel werde sich ebenfalls einen Taschenrechner anschaffen. Abschaffel überlegte, ob er vor sich selbst so weit gehen konnte, den Preis der Anschaffung ebenfalls zu loben, obwohl er den Taschenrechner und Hornung inzwischen verachtete. Hornung und der Taschenrechner waren zwei Dinge, die in ihrer langsam gemein werdenden Hilflosigkeit unbedingt zueinander paßten. Die teuren Taschenrechner sind gar nicht gut, hab ich gelesen, sagte Hornung; sie rechnen oft falsch, weil die eingebauten Winkelfunktionen nicht ganz genau abrufbar sind. Die billigen tun’s auch, sagte Hornung. Abschaffel gab Hornung das Gerät zurück und sagte: Ich werde mal langsam gehen. Er zog den Umschlag mit der Studie an sich und erhob sich. Jeden Samstag, wenn ich einkaufe, sagte Hornung, nehme ich den Taschenrechner mit in den Supermarkt. Ich tippe den Preis jedes Stücks, das ich in den Korb lege, in den Rechner, und vergleiche dann später meinen Endbetrag mit dem Kassenbeleg. Abschaffel nickte mehrfach verabschiedend zu Frau Hornung hin, und sie nickte zurück. Das hab ich jetzt zweimal gemacht, sagte Hornung, und beide Male hatte ich denselben Endbetrag wie die Kassiererin. Aber ich erwische sie schon noch, diese jugoslawischen Schicksen, wenn sie mich bescheißen wollen. Abschaffel sagte nichts mehr. Er lachte nur noch dünn und bewegte sich auf die Tür zu. Wenig später war er draußen.
    Er ging zum Bahnhof Höchst, und während des Gehens vergaß er Hornung. Er saß im Gehäuse der überdachten Haltestelle und nahm sich mehrfach vor, Hornung nie wieder zu besuchen. Noch immer hatte er Lust, auf diese unfaßbar abwesende Frau Hornung einzuschlagen und ihre Kinder aus einem Fenster zu werfen. Er mußte nicht lange auf die Bahn warten. Und zum Glück kam nicht einer dieser alten Personeneilzüge, die manchmal noch im Vorortverkehr eingesetzt wurden. Sie stanken nach Moder und eingefressenem Nikotin; wer in einem solchen Zug saß, glaubte nach kurzer Zeit, während der Fahrt krank zu werden. Eine neue S-Bahn hielt im Bahnhof Höchst. Der Zug war fast leer, hell erleuchtet und weiß wie ein Krankenzimmer. Die Sitze waren mit einer dunkelroten Lederimitation bezogen. Abschaffel fühlte sich augenblicklich wohl und sauber. Nach mißglückten Besuchen müßte man immer in solchen Zügen nach Hause fahren dürfen, dachte er. Der Zug rutschte fast lautlos über die Schienen, und er wunderte sich, wie das möglich war. Er sah aus dem Fenster, und er sah einen unendlichen Raum, der mit kleinen, erleuchteten Fensterrechtecken ausgefüllt war. Hinter all diesen Fenstern diskutieren drei Männer im Fernsehen, dachte er. An den Haltestellen genügte ein leichter Druck gegen die Türgriffe und die Türen schoben sich, von kleinen Schüben Preßluft getrieben, auf und wieder zu. Die letzte Station vor dem Hauptbahnhof hieß Griesheim. Er las auf einem Emailschild das Wort GRIESHEIM , und endlich mußte er still kichern. Griesheim! Er mußte sofort an Griesbrei denken, und er stellte sich vor, wie in all diesen Abertausenden von hellen Fensterrechtecken der kalte Griesbrei bis hoch an die Deckenleuchten stand und nicht mehr herausgeräumt werden konnte. Dann fiel ihm das Wort Griesgram ein, und er stellte sich vor, wie es wäre, wenn der Vorort Frankfurt-Griesgram hieße. Ob sich jemand daran störte? Bitte einmal Griesgram hin und zurück. Schon hörte es sich normal an. Wieder fuhr die S-Bahn weich und leicht an, so daß Abschaffel sogar die Bahn bewunderte. Auf der anderen Seite, schräg gegenüber von ihm, hatten sich eine Frau und ein etwa elf Jahre alter Junge hingesetzt. Der Junge holte ein Quartettspiel aus der Manteltasche und forderte die Mutter zum Spiel auf. Sie wollte nicht, aber der Junge gab nicht nach. Das Thema des Quartetts waren moderne Flugzeugtypen, und schon beim ersten Spielzug wurde klar, daß sich die Frau nicht in modernen Flugzeugtypen auskannte. Sie mußte den Jungen fragen, was ein Turbo-Prop sei, und das Kind geriet in höhnende Begeisterung über die Unwissenheit der Frau. Das Kind lachte, nahm der Frau die Karten ab und sagte: Mutter, du lernst es nie.
     
    Das Büro wurde jeden Morgen um sieben Uhr geöffnet. Kurz nach sieben erschien

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