Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
der Konsumfront eher eine Belastung. Bald wird er, in der Linken den Palm, in der Rechten den Eingabestift und in beiden Armbeugen einen Tragekorb, zum Verkehrshindernis zwischen den Regalen. Aber Etter lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, notiert sich sogar Stichworte zum Konsumverhalten der ihm etwas fremden Spezies Endverbraucher. Zur Vertiefung des Marketing-Know-hows.
Die Einführung der Selbstbedienung im Offenverkauf von Obst und Gemüse ist eine Entwicklung, die an Etter vorbeigegangen ist. Er füllt die letzten Winkel seiner beiden Körbe mit einem spontanen Potpourri aus Obst und Gemüse. Sylvia soll ruhig sehen, dass die Aufgabe nicht nur eine lästige Pflicht, sondern auch eine kreative Herausforderung darstellt.
An der Kasse studiert er mit einer Mischung aus Interesse und Amüsement die Einkäufe der Mitwartenden. Als er nach gestoppten 16 Minuten an die Reihe kommt, legt er nicht ohne Stolz den Inhalt seiner beiden Körbe aufs Laufband. Erst jetzt wird ihm klar, dass auch die Entwicklung des Selbstwiegens an ihm vorbeigegangen ist. Hinter ihm wächst die Unruhe, während die gereizte Kassiererin Stück um Stück seines Potpourris an der nächsten Waage wiegt.
Als er sich zum Schluss auch noch höflich erkundigt, welche der Major Credit Cards das Haus akzeptiere, sagt hinter ihm eine dicke Frau im violetten Jogginganzug: »Wahrscheinlich wieder irgend so ein Verwaltungsrat.«
Der traurige Sonntag
Die Wiesen sind blumengesprenkelt bis an den Waldrand, und die Schlüsselblümchen drängen sich in den Sonnenflecken unter den Buchen. Eine kleine Familie döst im Schatten eines blühenden Apfelbaums auf karierten Autodecken. Ab und zu trägt der laue Maiwind ein Kinderlachen über die Lichtung bis hin zum Waldlehrpfad. Dort geht einsam und tief in Gedanken ein Mann.
Das leichte, sportliche Veston hat er ausgezogen und über die linke Schulter geworfen. Er ist gut Mitte fünfzig, sein Haar ist grau, aber noch voll. Er könnte ein erfolgreicher Manager auf einem Regenerationsspaziergang sein. Aber warum so einsam? Und warum so bedrückt?
»Ich muss ein paar Stunden allein sein, Schatz«, hat er zu seiner Frau gesagt.
»Ist etwas?«, hat sie ihn besorgt gefragt.
»Ach…«, hat er geantwortet. Dann hat er abgewunken und ist mit einem tapferen Lächeln hinausgegangen in den prächtigen Frühlingssonntag, hat sich in den BMW gesetzt und ist losgefahren.
Fast 35 Jahre in der Firma, weiß Gott nicht immer leichte Jahre, und jetzt das. Gut, vielleicht ließ die Performance hie und da etwas zu wünschen übrig. Aber wessen Performance nicht? Kann man in 35 Jahren nicht seine Ups and Downs haben wie jeder andere Kadermann? Kann man einem einen Strick daraus drehen, wenn nach bald zehn Jahren auf dem Stumpengleis die Motivation ab und an nicht mehr die gleiche ist wie am Anfang, als die Welt noch jung war und die Karriereleiter nach oben offen wie die Richterskala?
Der Waldlehrpfad kreuzt den Vita-Parcours. An einem Posten absolviert ein Pärchen in schrillen Jogginganzügen gehorsam die vorgeschriebenen Übungen. Dem einsamen Wanderer gibt es einen Stich. Vielleicht hat auch irgendwo schon jemand entschieden, dass sie die Zukunft, für die sie sich fit halten, gar nicht haben.
Hoch in den Wipfeln singt eine Amsel, und in den Wiesenblüten am Waldrand summen die Bienen. Aber der verlassene Spaziergänger ist blind und taub für den Zauber dieses Blustsonntags. Sein Herz ist schwer von der Undankbarkeit der Welt. Ist denn die Geschäftsräson das oberste Prinzip? Muss denn das menschliche Element immer erst in zweiter Linie in Rechnung gezogen werden? Darf denn ein Mann, der einem Unternehmen während seiner besten Jahre sein Bestes gegeben hat, acht Jahre vor seiner Pensionierung entlassen werden? Auch wenn sein Bestes, das sei zugegeben, nicht immer gut genug war. Auch wenn die Strukturbereinigung, daran gibt’s nichts zu rütteln, die Funktion, die er innehat, überflüssig macht.
Wie kann man einen Mann ohne Hoffnung auf eine gleichwertige Stellung nach fast 35 Jahren Firmentreue zu sich bestellen und sagen: Das war’s, Dörig, wir brauchen dich nicht mehr, so long ?
Eine Gruppe Mountainbiker überholt ihn. Noch lange hört er ihr unbeschwertes Lachen durch das Unterholz. Woher diese Fröhlichkeit, denkt er. Und wohin? Ahnen die denn nichts von der Unbarmherzigkeit dieser Welt? Lassen die sich dermaßen täuschen vom dünnen Blütenschleier, mit dem sie ihr wahres Antlitz verhüllt?
So
Weitere Kostenlose Bücher