Abscheu
Ich bin bereit für ihn.
»Geht es, Muschi?«
»Ja«, flüstere ich ins Leder.
»Wirklich?«
»Ja, ja. Ja!«, murmele ich, vielleicht jammere ich auch, ich weiß gar nichts mehr. Meine Beine zittern unkontrolliert. Meine Arme auch. Alles zittert, bebt und zuckt.
Er verliert keine Zeit mehr, geht jetzt geradewegs auf sein Ziel zu, nur er kann das, darf das. Er hat es sich angeeignet, und es hat immer ausschließlich ihm gehört. Ich öffne den Mund in einem stillen Schrei, ertrage ihn, will, dass er tiefer geht, weiter, weitermacht, bis wir zusammen an einen Ort gelangen, an dem nur er und ich noch sein können, eine Stelle, an der niemals ein anderer gewesen ist, kein anderer Freund, kein Kunde, nicht einmal Harald.
Nur er.
Acht
»Papa, ich höre ein Auto vor dem Haus.«
»Du bist noch wach, Fleur? Es ist schon nach neun. Geh schlafen, morgen ist Schule.«
»Ist Mama zurück?«
»Nein, das ist nicht Mama. Geh ins Bett. Ich will nichts mehr hören.«
Ich warte, bis ich Fleur auf ihr Zimmer gehen höre, und öffne dann die Haustür. Dennis van Gelder steigt aus seinem blauen Zafira. Er trägt eine blaue Cordhose und ein dunkelrotes Sakko. Sein grau meliertes, dunkelblondes Haar ist etwas kürzer als auf der Gartenparty.
Zunächst befürchte ich, dass sein unangekündigter Besuch bedeutet, er habe schlechte Neuigkeiten, die er mir nicht am Telefon überbringen wollte. Doch sobald er sich umdreht und mich in der Tür stehen sieht, hebt er beide Daumen.
»Wirklich?« Fragend ziehe ich die Augenbrauen hoch.
»Alles geritzt.« Er ergreift meine Hand, schüttelt sie aufgeregt und legt mir dann seinen fleischigen Arm um die Schultern – Dennis van Gelder ist fast genauso groß wie ich. »Im Rahmen der freiwilligen Betreuung von Pflegebedürftigen, Mutter, die bei der Tochter einzieht, natürlich nur vorübergehend, bla, bla, bla … Alles geregelt.«
Ich lache und schüttele den Kopf. »Unglaublich. Wahnsinn! Komm rein. Du hast doch bestimmt Zeit für einen Kaffee? Oder einen kleinen Cognac?«
»Da sag ich nicht nein.«
»Wer ist der Mann, Papa?«
»Ab ins Bett, Fleur!«
Dennis folgt mir ins Wohnzimmer und sieht sich überall neugierig um. »Jedes Mal, wenn ich zu euch nach Hause komme, bin ich wieder begeistert«, sagt er. »Wirklich fantastisch, was du hier geleistet hast.« Er zieht eine Augenbraue hoch. »Dass du keine armselige Hütte hochziehen willst, hat natürlich auch geholfen, und dazu die Garantie, dass der Neubau im selben Stil wie das Haupthaus ausgeführt wird, mit denselben Materialien. Dass er von der Straße aus nicht zu sehen sein wird, hat schließlich die letzten Querulanten überzeugt.«
»Also hast du es geschafft?«
»Von unserer Seite hast du grünes Licht. Natürlich können die Anwohner noch Beschwerde einlegen, du weißt, wie das geht, aber ich schätze, das ist eine reine Formalität. Ich erwarte keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, du etwa?«
Ich schüttele den Kopf. Wir haben guten Kontakt zu den Nachbarn, einem älteren Ehepaar. »Nein, von dieser Seite rechne ich nicht mit Einwänden. Und, was kann ich dir anbieten?« Ich weise mit einem Nicken auf die Flasche, die auf dem Wohnzimmertisch steht, und mein Kristall-Cognacglas daneben. »Hennessy Private Reserve. Eine Sünde wert.«
»Einen kleinen Schluck, gerne.« Er setzt sich auf das Sofa und sieht sich weiter um. Fast wird es schon ein bisschen peinlich. Dennis möchte gern zu den großen Jungs gehören, und so jemanden sieht er in mir: einen arrivierten, reichen Kerl, mit dem er nur allzu gerne tauschen würde. Er ist Beigeordneter, aber mit seinem Gehalt könnte er sich kein Haus wie dieses leisten.
Ich gehe in die Küche, um ein Glas zu holen.
»Ist Claire nicht zu Hause?«, höre ich Dennis fragen.
»Sie hat heute Abend in der Schule zu tun, eine Versammlung, glaube ich.«
Als Dennis mich vom Wohnzimmer aus nicht mehr sehen kann, balle ich die Fäuste und führe lautlos einen Indianertanz auf. Ja, ja, ja! Die Genehmigung ist erteilt. Ich wusste, dass es klappen würde, ich wusste es einfach. Claire war wieder einmal zu zurückhaltend und vorsichtig, aus Angst, der Antrag könne abgelehnt werden.
Ich kann es kaum erwarten, dass sie nach Hause kommt und ich es ihr erzählen kann. Die wird Augen machen!
Als ich ins Wohnzimmer zurückkehre und sehe, wie Dennis trotz seiner Selbstsicherheit doch ein bisschen gehemmt auf dem Sofa sitzt, denke ich bei mir, dass das Leben doch manchmal schrecklich schön sein
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