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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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bloße Gedanke, ihre Mutter könne sie vorsätzlich vom Vater fern gehalten haben, erfüllte Rowena mit einer mörderischen Wut.
    Als sie am selben Abend gegen sechs Uhr ins Lokal kam, war Kip bereits da. Rowena nahm ihn beiseite, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, denn er schaute ziemlich mitgenommen aus.
    „Mir geht’s gut, Tante Ro.”
    „Du siehst aber gar nicht so aus, mein Lieber! Man könnte meinen, du hättest in deinen Kleidern geschlafen!”
    „Wie, sieht man das?” fragte er verlegen. „Ich hatte gehofft, man merkt es nicht! Ich, äh, hab im Auto gepennt. Nach Hause wollte ich nicht, also hab ich Mom angerufen und ihr verklickert, ich übernachte bei Luke. Und eh sie mir dazwischenfunken konnte, hab ich ihr gleich gesagt, dass ich den Job hier auf keinen Fall hinschmeiße. Wenn dir das nicht passt, hab ich gesagt, dann suche ich mir ’ne andere Bleibe, und zwar ein für alle Mal. Ich dachte schon, sie macht ’nen Aufstand, aber nö, okay, sagt sie, von mir aus! War ganz schön eng und umständlich im Auto, aber es ging. Ich hab die Karre hinten in die äußerste Ecke vom Parkplatz gestellt und mich auf ’m Rücksitz in ’nen Schlafsack gehauen. Sobald der Drugstore aufmachte, bin ich hin, hab mir ’n paar Sachen geholt und mich an der Tankstelle gewaschen. Dann zu McDonald’s, was zu futtern besorgt, und da bin ich nun. Sicher, bisschen zerknittert sehe ich schon aus”, meinte er und versuchte, mit beiden Händen die Vorderseite des Hemds zu glätten, „aber es geht doch noch, oder?”
    Er war so jung, so aufrichtig und unschuldig, dass er ihr richtiggehend Leid tat. Auch wenn sie nicht das Recht hatte, so hätte sie ihn doch am liebsten in einem Zimmer in ihrem Haus einquartiert und ihm den Freiraum und die Freiheiten gegönnt, die ihm zustanden. Penny hatte indes unmissverständlich klar gemacht, was sie von Rowenas Hilfsangeboten hielt. Im Augenblick konnte sie daher nur wenig für den Jungen tun.
    „Aber ewig kannst du nicht im Auto schlafen, Kip. Was ist denn mit deinem Vater? Könntest du nicht beim ihm unterkommen?”
    „Der hat nur ’ne ganz kleine Wohnung. Sicher, machen würde der das. Aber es ist nicht genug Platz.”
    „Das Ganze ist einfach lächerlich!” schimpfte Rowena. „In meinem Haus stehen vier Zimmer leer. Eigentlich dürfte es überhaupt kein Problem sein, dich bei mir wohnen zu lassen. Nur ist momentan nichts leicht. Aber im Wagen kannst du nicht übernachten. Du bist schließlich kein Obdachloser! Du hast jede Menge Freunde, die dich mögen und wollen, deine Mutter eingeschlossen. Mag sein, dass sie sich augenblicklich ein bisschen wunderlich verhält, aber sie liebt dich. Und das weißt du doch auch!”
    „Klar, schon! Und wenn ich bei dir unterkrieche, springt sie im Dreieck!” Mit verstörter Miene raunte er: „Sieht auf einmal fast so aus, als würde sie dich hassen! Und Onkel Mark noch dazu! Direkt unheimlich, ich schnalle das nicht! Ihr habt ihr doch nichts getan!”
    „Offenbar meint sie das aber, zumindest was mich angeht. Aus ihrer Sicht ist der Gedanke genauso schlimm wie die Tatausführung.”
    „So ’n Quatsch! Na gut, heute Abend guck ich zu Hause vorbei. Mal checken, was Sache ist. Kann ja sein, dass sie sich wieder eingekriegt hat.” Allzu optimistisch sah er dabei nicht aus.
    „Wenn du wirklich meinst, du hältst es nicht aus, dann ruf mich an. Oder Mark, oder deinen Dad. Irgendjemanden von uns. Und schlaf bitte nicht mehr im Auto!”
    „Okay!”
    „Versprochen?”
    Mit kläglichem Lächeln nickte er, auch wenn nach wie vor Zweifel in seinem Blick standen. Dann ging er davon, um die Brotkörbe aufzufüllen.
    Rowena sah ihm nach. Sie konnte nur hoffen, dass Penny sich bremste und den Jungen gewähren ließ.
    Am Sonntag erwachte Rowena vom Geräusch des Regens, der auf die Außenteile der Klimaanlage tropfte. Sie war erleichtert; ein Ausflug auf Reids Segelboot kam nun nicht infrage. Also konnte sie den ganzen Nachmittag und Abend weitere Kartons im Keller durchforsten.
    Al sie den Pyjama auszog, stellte sie fest, dass ihre Oberarme noch schlimmer aussahen als am Vortag. Die Blutergüsse blühten in den schillerndsten Farben, von rotviolett bis schwarzblau. Unter der Dusche prasselte der Wasserstrahl derart schmerzhaft auf die blutunterlaufenen Stellen, dass sie den Hahn rasch abdrehte und sich stattdessen in die Badewanne setzte. Dort hockte sie fröstelnd auf dem Wannenboden und wartete darauf, dass die Wanne voll lief.
    Die

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