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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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ist mir das Ding erst”, fuhr die Frau fort, wobei sie die Stimme verschwörerisch dämpfte, „nachdem Claudia zwei meiner Klienten angerufen hatte, beides verheiratete Männer. Das … na ja, nennen wir es Interesse Ihrer Schwester hat sie ziemlich vor den Kopf gestoßen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mal ganz privat ein Wörtchen mit ihr zu reden, habe es mir aber anders überlegt und meine Mandanten in andere Lokale eingeladen. Ich wäre auch heute nicht gekommen, wenn der Idiot vorhin nicht reserviert hätte.” Endlich stand sie auf. „Ich weiß, Claudia ist noch nicht lange tot. Hoffentlich bin ich Ihnen nicht zu nahe getreten. Mir scheint, Sie sind eine vernünftige Frau. Da ist Ihnen sicher nicht entgangen, was für ein Mensch Ihre Schwester war.”
    Verdrossen über das mangelnde Feingefühl dieser Frau, die sich über ein Thema ausließ, das nun keine Rolle mehr spielte, warf Rowena einen Blick auf die Visitenkarte. „Der Fahrer wartet, Mrs. Brewer”, sagte sie beherrscht und darauf bedacht, die Frau endlich loszuwerden.
    „Ach ja, richtig. Nun, falls Sie mal juristischen Rat brauchen – meine Kanzlei ist direkt hier vor Ort.”
    „Ach, wissen Sie”, erwiderte Rowena gelassen, „in Rechtsfragen wende ich mich nur ungern an jemanden, der gleich mit der Tür ins Haus fällt. Trotzdem vielen Dank! Guten Tag!” Damit drehte sie sich um und ging mit energischen Schritten zur Küche. Sie spürte, dass die Frau ihr nachsah, und hörte dann, wie die Eingangstür geöffnet und geschlossen wurde.
    „So eine durchtriebene Zicke, was?” fragte Ian halblaut, als Rowena in die Küche kam, wo er gerade ein Glas Mineralwasser trank.
    Sofort besserte sich ihre Laune. „Aber ehrlich!” bestätigte sie mit Nachdruck.
    „So eine wie die würde einen ungerührt abschießen mit ihrer so genannten Offenheit.”
    „Genau!”
    Beide lächelten sich in einem Moment vollkommener Übereinstimmung an. Dann leerte Ian sein Glas und ging ins Lokal zurück, während Rowena zwei Salate nahm, um sie dem Pärchen zu servieren, das an der Bar saß.
    Gegen Viertel nach zwei, als es etwas ruhiger geworden war, ging Rowena mit einer Tasse Kaffee und ihren Zigaretten auf die Terrasse. Reid war mittlerweile der einzige Gast draußen und saß seinerseits beim Kaffee, vertieft in das Akrostichon im illustrierten Beilagenteil seiner Sonntagszeitung. Allem Anschein nach fühlte er sich sehr wohl.
    „Ich denke, ich gönne mir eine Pause, falls meine Qualmerei Sie nicht belästigt”, sagte sie, während sie ihm gegenüber auf einen Stuhl glitt.
    „Stört mich ganz und gar nicht”, erwiderte er überschwänglich, legte seinen Stift hin und schob ihr den Aschenbecher in Reichweite. Ein bis auf einen kleinen Rest geleertes Glas wartete darauf, von einem der Hilfskellner abgeräumt zu werden.
    „Wie war Ihr Lunch?” erkundigte sie sich, eher aus Gewohnheit, zündete sich eine Zigarette an, lauschte dem auf die Markisenplane prasselnden Regen und musterte Reids Gesicht: weit auseinander stehende Augen von klarstem Blau, fein geschwungene, schön gezeichnete Augenbrauen, so schwarz wie das Haar, beneidenswert dichte Wimpern, die seine leuchtenden Augen noch unterstrichen, markante Nase, kantiges Kinn. Wahrscheinlich, so ging es ihr durch den Kopf, waren die Frauen schon immer auf ihn geflogen – seines Aussehens wegen. Man geriet sehr leicht in den Sog schöner Menschen; sie hatte es oft genug und wiederholt bei Claudia miterlebt. Instinktiv neigte man zu der Annahme, dass bei jemandem, den man für äußerlich attraktiv hielt, Wesen und Erscheinung deckungsgleich sein mussten. Eine solche Vermutung war nicht bloß unklug, sie war geradezu fahrlässig. Wie viele hatten Claudia nur ihres Aussehens wegen hofiert? Und was hatte es der Schwester gebracht, dass sie den größten Teil ihres Erwachsenenlebens damit zugebracht hatte, ihr Äußeres zu perfektionieren? Ein Regal voller Heimvideos, auf denen sie mit Partnern zu sehen war, die sie sich wahllos aus in einer großen Glasschale hinterlegten Visitenkarten herausgepflückt hatte! Wie verzweifelt musste man sein, um sich für so etwas herzugeben?
    „Bis jetzt”, sagte Reid gerade, „kann man an dem Essen hier nichts aussetzen. Am Service auch nicht.”
    „Schön. Das hört man gern.” Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden, bemerkte den bläulich-dunklen Bartstoppelschatten an Kinn und Wange, die gleichmäßige Form der Ohren, den präzisen Haarschnitt mit dem

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