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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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Stück, dazu passend die gleiche Anzahl an Schuhen, das preiswerteste Paar zu einhundertfünfzig, das teuerste zu sage und schreibe fünfhundertfünfzig Dollar. Hinzu kamen mehrere Kaschmirpullover, zahlreiche Seidendessous und eine ganze Reihe Nachthemden. Grob geschätzt hatte sie unmittelbar vor dem Tod ihrer Mutter annähernd fünfzehntausend Dollar ausgegeben. Ob Jeanne das wohl gewusst hatte? Wahrscheinlich nicht, dachte Rowena. Es wäre ihr vermutlich auch egal gewesen, und nun spielte es ohnehin keine Rolle mehr. Die Kassenbons wanderten in einen der Müllsäcke, gemeinsam mit zig Wasser- und Stromrechnungen, Quittungen über bezahlte Grundbesitzsteuer, der Materialauflistung eines Installateurs für Reparaturarbeiten in einem der Badezimmer, der Rechnung einer Heizungs- und Klimafirma über eine Kesselwartung und vieles mehr. Selbst Illustrierte und alte Fernsehprogrammhefte fehlten nicht. Als der erste Karton leer war, faltete Rowena ihn flach zusammen und stellte ihn beiseite, damit er später in den Papiercontainer gepackt und der Altpapierverwertung zugeführt werden konnte.
    Der zweite Karton war etwa zur Hälfte geleert, als Rowena auf zwei Fotoalben mit Familienfotos sowie auf ein Hochzeitsbild ihrer Eltern stieß. Bereits kurz nach ihrem Einzug in das Haus hatte sie ergebnislos nach diesen Aufnahmen gesucht und vermutet, Claudia habe sie weggeworfen. Hocherfreut über den Fund trug sie das gerahmte Hochzeitsfoto und die großen ledergebundenen Alben nach oben in die Küche. Dort setzte sie sich mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette an den Tisch, um sich die Bilder, die sie über zwanzig Jahre nicht gesehen hatte, genauer anzuschauen.
    Penibel hatte George Graham die Geschichte seiner Familie in Bildern festgehalten, von den Flitterwochen bis zu dem Jahr vor Carys Tod. Auf den Anfangsseiten des ersten Albums zeigten zackig geränderte Schwarz-Weiß-Aufnahmen ihre Eltern beim Cocktail auf einer Hotelterrasse auf den Bahamas, beide unvorstellbar jung und attraktiv: eine in die Kamera lachende Jeanne im bodenlangen Cocktailkleid, das blonde Haar im Nacken zu einer Innenrolle frisiert und festgesteckt, in der einen Hand einen Drink, in der anderen eine Zigarette, daneben George im Smoking, den Blick bewundernd auf seine etwas ältere und mondäne Ehefrau gerichtet. Auf weiteren Schnappschüssen waren die frisch Vermählten beim Tennis, beim Sonnenbaden auf einem einsamen Strandabschnitt sowie bei einer Fahrradtour zu sehen.
    Es folgten die Babybilder, zuerst von Cary, dessen sanftmütiges Wesen bereits im zahnlosen Lächeln erkennbar wurde, dann von Rowena, wohl genährt und putzmunter auf dem Arm des Vaters, und schließlich von Claudia auf Großmutters Schoß, sechs Monate alt, das Gesichtchen kläglich verzogen, die Ärmchen der wie geistesabwesend wirkenden Mutter entgegengestreckt, die mit einer Zigarette zwischen den Fingern ganz in der Nähe saß und unbeteiligt in die Ferne blickte.
    Eine geraume Weile starrte Rowena nachdenklich auf diese Fotografie. Irgendetwas war an dem Bild, das sie nachdenklich machte – die Art, wie Jeanne sich kaum merklich von ihrer Mutter und ihrem Töchterchen abwandte, der jammervolle Ausdruck im Gesicht der Kleinen. All das rief Erinnerungen wach. Aber an was? Für einen Augenblick schloss sie die Augen, als würde ihr so alles wieder einfallen, doch sie kam nicht darauf. Sie löste das Foto aus den vier goldfarbenen Fotoecken und legte es beiseite, um es später nochmals genauer zu studieren.
    Langsam, Seite für Seite, blätterte sie weiter, unwillkürlich lächelnd beim Anblick des Bruders, der auf unsicheren Beinchen die ersten Schritte machte. Die nächsten Bilder zeigten ihn im Laufstall, ein fröhlicher kleiner Kerl im Strampelanzug, umgeben von seinen Spielsachen, und dann, ein Jahr später, als dreijährigen Knirps im Ölzeug an Vaters Hand auf dem Deck eines ansehnlichen Segelboots. Beide grinsten sie auf dieselbe Art in die Linse. Es schnürte ihr die Brust zusammen, sie so zu sehen; wie gern hätte sie beide wiedergehabt, den geduldigen, liebevollen Vater, den Bruder mit seiner umgänglichen Art! Ihr wurde so schwer ums Herz, dass sie das Album zuklappen und sich ans Küchenfenster stellen musste, wo die Sonnenstrahlen sie aufwärmten, während sie hinaussah auf den neu erstandenen Garten des Vaters und sich vorstellte, dass ihre Mutter ihr vielleicht genau das angetan hatte, was Penny ihrem Sohn jetzt antat. Ein Glück, dass Jeanne tot war, denn der

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