Abschied aus deinem Schatten
vor dem Fahrersitz auf den Boden und nahm Rowenas Hand. „Ich habe den Notarzt verständigt. Ein Rettungswagen wird gleich eintreffen.”
„Ich bin müde.” Rowena fielen die Augen zu. Es war schwer, wach zu bleiben, sich zu konzentrieren.
„Kommen Sie, Rowena, nicht schlafen! Sprechen Sie mit mir! Soll ich jemanden anrufen?”
„Mark. In der Bibliothek in Stamford.”
„Okay! Und wie heißt Mark mit Nachnamen? Nicht die Augen schließen, offen lassen! Wie heißt er?”
„Wer?”
„Mark in der Bibliothek.”
„Daley. Mein bester Freund. Ich möchte aufstehen.”
„Nein, nein! Sie bleiben schön liegen und unterhalten sich mit mir!”
„Aber mir fehlt nichts.”
„Wir unterhalten uns, bis der Notarzt eintrifft. Dauert nicht mehr lange. Augen auf, Rowena! Sind Sie verheiratet?”
„Nein. Sie?”
Die Frau lächelte. „Geschieden.”
„Sie sind sehr hübsch.” Es stimmte. Wunderschöne Augen, groß und tief liegend, und von einem außergewöhnlichen Blau. Kornblumenblau.
„Danke für das Kompliment. Aber nicht schlappmachen! Kommen Sie, Augen auf …”
Im Rettungswagen wachte Rowena wieder auf und versuchte, sich zu bewegen, doch es war vergebens. Es machte ihr Angst, und sie probierte es aufs Neue.
„Wir haben Ihnen eine Halskrawatte und eine Rückenschiene angelegt, bis wir Sie röntgen können”, sagte eine sanfte Stimme. „Bleiben Sie still und möglichst entspannt liegen, okay?”
„Okay”, murmelte sie und schloss die Augen.
In der Notaufnahme kam sie wieder zu sich, weil sie von jemandem immer und immer wieder beim Namen gerufen wurde. „He! Wach bleiben, Rowena! Ja?”
„Ja”, konnte sie gerade noch flüstern, ehe sie in die dunkle Tiefe stürzte.
24. KAPITEL
S ie träumte, sie wäre zusammen mit Cary am Strand unweit des Segelclubhauses von Roton Point. Ein Sturm war vorhergesagt worden und das Wasser des Sunds zum Segeln zu aufgewühlt. Während die Haushaltshilfe, in ein Buch vertieft, in der Nähe saß, errichteten die beiden Kinder kunstvolle Sandburgen mit Türmen und Zugbrücken und Wassergräben. Cary war in die Rolle des Architekten geschlüpft und bestimmte, wo Rowena den nächsten Eimer mit feuchtem Sand auskippen oder mit dem Holzstäbchen vom Eis am Stil die nächste Zugbrücke anbringen sollte. So waren sie schon geraume Zeit mit ihrer Sandfestung beschäftigt gewesen, als Cary sie endlich als „fertig!” erklärte und sich neben seiner Schwester auf die Knie niederließ, um das Bauwerk zu bewundern.
„Ganz gut, hm?” sagte er mit zufriedenem Lächeln, um dann aufs Wasser hinauszuschauen. „Au weia! Gleich gibt’s Regen!”
Rowena blickte über die Schulter und sah, wie weiter draußen Schauer auf den Sund von Long Island niederpeitschten, und als sie sich wieder umdrehte, war Cary fort und die Haushälterin ebenfalls verschwunden. Ängstlich und unschlüssig stand Rowena auf. Was sollte sie tun? Der Strand war menschenleer, selbst der Imbissstand war geschlossen. Wo waren bloß alle hin? Der Sturm näherte sich bereits; der Wind frischte auf, und Rowena fröstelte. Sie musste etwas unternehmen, sonst würde die Sandburg fortgespült werden.
Als sie eine Kunststoffplane neben dem Würstchenstand entdeckte, schleppte sie diese heran und breitete sie sorgfältig über die Burg, wobei sie die Plane mit kleinen Zweigen von unten abstützte sowie Ecken und Ränder mit Steinen beschwerte. Nun begann es zu regnen, allmählich zunächst, dann immer heftiger, während der Wind sich andauernd unter die Ränder der Kunststoffplane stahl, sodass Rowena hin und her rennen musste, um noch mehr Steine zu suchen, mit denen sie den Regenschutz sichern konnte.
Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als sich unter den Dachüberstand der Imbissbude zu flüchten. Zitternd kauerte sie in einer Ecke, starrte durch den Regenvorhang und wartete darauf, dass Cary sie abholen kam. Mit vor Kälte klappernden Zähnen wiegte sie den Oberkörper vor und zurück, um sich warm zu halten.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie erwachsen. Es war Winter, die Uferlinie vereist, der Strand schneebedeckt. Nach wie vor hockte sie in der Ecke neben dem Imbissstand, trug jetzt allerdings schwere Stiefel und Claudias Nerzmantel. Darunter war sie nackt, und sie spürte das Seidenfutter des Mantels auf der bloßen Haut. Den Blick hinaus auf die graugrünen Fluten gerichtet, erhob sie sich, um sich Richtung Parkplatz zu begeben.
Kaum war sie aus dem Windschatten der Bude
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