Abschied aus deinem Schatten
draufgehen.
Ich habe deine Mutter geliebt, Rowena. Ohne Wenn und Aber, auf eine Weise, scheint mir, wie Rennfahrer das Autorennen lieben, obwohl sie wissen, dass sie sich jeden Moment das Genick brechen können. Oder so, wie Junkies die Droge brauchen, wenngleich ihnen klar ist, dass sie womöglich an einer Überdosis sterben. Eine solche Liebe macht hörig und ist brandgefährlich, auf keinen Fall aber eine gesunde Basis für ein richtiges Familienleben. Solange es nur um Jeanne und mich ging, war es die aufregendste Zeit meines Lebens. Was wir zwei hatten, das war nicht zu übertreffen – eine Zeit lang zumindest. Dann aber kamen die Babys, und ich habe euch drei geliebt. Ihr wart meine Familie, mein Glück. Am Ende stand ich dann vor der Wahl: entweder meine Kinder oder meine Zukunft. Euch zu verlassen war das Schlimmste, was mir je widerfahren ist. Ich war jedoch noch verhältnismäßig jung und wollte etwas vom Leben haben. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich alle Höhen und Tiefen durchlebt. Nun wollte ich bloß noch meine Ruhe. Hört sich ziemlich egoistisch an, was?”
„Nein, keineswegs.”
„Doch, das war es, mein Schatz! Aber mir graute vor einer Zukunft, in der es bis in alle Ewigkeit so weitergehen würde. Und vor der Aussicht, dass Jeanne immer heftiger trinken, immer hässlicher und niederträchtiger werden würde, während meine Verzweiflung wuchs und in mir die Gewissheit zunahm, dass ich in der Falle saß. Ich konnte einfach nicht mehr. Es war, als hätte man eine leichte Skitour auf einem sanften Schneehang begonnen, der sich plötzlich in einen wahren Mount Everest aus schierem Glatteis verwandelt hatte. Von der Steilabfahrt musste ich herunter, bevor es mit einem solchen Tempo abwärts ginge, dass ich nicht heil unten ankommen würde.”
„Das verstehe ich.”
„Wirklich?” Er sah ihr forschend in die Augen.
„Ja”, erwiderte sie fest.
„Du warst immer ein verständnisvolles kleines Mädchen. Das hat sich nicht geändert.”
„Und nach der Scheidung? Was geschah dann? Warum haben wir uns danach nicht mehr gesehen?”
„Wir bekamen zwar beide das Sorgerecht zugesprochen, aber sie ließ mich nie auch nur in die Nähe von euch dreien. Meine Eltern boten mir ihre Unterstützung an für den Fall, dass ich meinen Anspruch gerichtlich durchsetzen wollte. Zu dem Zeitpunkt kannte ich Jeanne allerdings schon zu gut. Ein Richter hätte entscheiden können, was er wollte – sie hätte mich trotzdem nicht zu euch gelassen. Es war ihre Hauptwaffe, die sie so lange wie möglich einzusetzen gedachte.”
„Und sie hat sie eingesetzt.”
„Allerdings. Dass ich es ablehnte, mit ihr zum Trinker zu werden, hat sie mir nie verziehen. Auch nicht, dass ich sie plötzlich nicht mehr unwiderstehlich fand, nachdem ich ihr jahrelang geradezu hörig gewesen war. Meine anfängliche Besessenheit hatte sich gegeben. Jeanne hat daraufhin geglaubt, sie habe jeglichen Reiz verloren.”
„Was ja auch stimmte.”
„Ja”, bestätigte er. „Ich hätte zäher kämpfen müssen, hätte energischer versuchen sollen, euch sehen zu dürfen. Aber ich hatte Angst, sie würde ihre Wut über mich an euch Kindern auslassen. Sie hatte euch ja immer schon unter der Aufsicht von Haushaltshilfen gelassen – einige davon unter aller Kritik, andere durchaus passabel. Daher redete ich mir ein, euch würde schon nichts passieren. Das musste ich glauben. Wäret ihr einzig in der Obhut eurer Mutter geblieben, hätte ich sie bis aufs Messer bekriegt, um euch drei von ihr loszueisen. Allerdings wusste ich, dass sie die Grundregeln nicht ändern würde. Dazu war sie zu bequem, zu verwöhnt. Meine Hoffnung war, dass die Haushälterinnen sich als einigermaßen brauchbar erweisen würden.”
„Sie waren nicht übel. Wir haben’s ja geschafft.”
„Da bin ich aber erleichtert! Weißt du, Rowlie, seit Jahren stelle ich mir schon vor, du seiest verheiratet und hättest ein Haus voller Kinder. Aber vermutlich war ich dir kein allzu gutes Vorbild.”
„An dir liegt es nicht, Dad. Die Vorbilder waren Jeanne und Claudia.”
„Nun”, sagte er fröhlich, „jedenfalls hast du dir mittlerweile einen ganz prima Kerl geangelt.”
„Mark ist mein allerbester Freund, aber mehr nicht!”
„Klar, er ist ein prächtiger Bursche! Tut alles für dich, der Junge. Aber den meinte ich nicht, sondern Tony!”
Gerade, als sie ihn fragen wollte, wie er denn auf diesen Gedanken gekommen sei, fiel ihr ein, wie Mark ihr geschildert hatte, dass
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