Abschied aus deinem Schatten
zerschlagen und käsig, war grotesk geschwollen. Geronnenes Blut befand sich in Ohren, Nasenlöchern und entlang des gesamten Haaransatzes. Über der linken Augenbraue zog sich eine zweieinhalb Zentimeter lange Wunde hin, aus der wie kleine Dornen Stückchen der Fäden ragten. Der Kopf verschwand nahezu unter einem Turban aus weißem Gaze. Rowena tastete gerade den Verband ab, als Lorene, die Schwester, ins Zimmer trat.
„Nicht eben hübsch, was?” fragte sie, wobei sie Rowena ein Fieberthermometer unter die Zunge schob. Dann fühlte sie ihr mit kühlen Fingerspitzen den Puls, während gleichzeitig eine Gestalt in Schwesterntracht hin und her lief und das Mittagessen auf die ausfahrbare Tablettablage stellte. Nachdem sie den Blutdruck gemessen hatte, notierte Lorene etwas auf der Krankenakte und hob dann die Deckel von den Plastikschüsseln. „Was gibt’s denn heute Leckeres? Hm, Hühnerbrühe, Kekse, Apfelsaft und Kirschgelee. Schaffen Sie das selbst, Rowena, oder soll ich Sie füttern?”
„Ich will’s versuchen. Können Sie mir das abmachen?” Sie deutete auf die Infusionsflasche.
„Da müssen wir erst mal abwarten. Warten Sie, ich helfe Ihnen etwas hoch! Okay so?”
Sobald sie den Kopf aus dem Kissen hob, wurde ihr übel.
„Nicht besonders, was?” Sofort ließ Lorene das verstellbare Kopfteil auf die Hälfte des Neigungswinkels herunter. „So besser?”
Die Augen geschlossen, musste Rowena mehrmals schlucken, um den Brechreiz zu überwinden.
„Na, dann spielen wir mal Mama”, erklärte Lorene. „Kennt man ja zur Genüge, weiß Gott.”
„Sie haben Kinder?” fragte Rowena, die nun endlich die Augen zu öffnen wagte. Die Krankenschwester faltete inzwischen eine Serviette auseinander und legte sie Rowena unters Kinn.
„Vier”, sagte sie lachend. „Sind aber schon erwachsen und aus dem Haus. Unsere Jüngste ist vierundzwanzig. Fünf Enkel. So, dann wollen wir mal unser Süppchen löffeln!”
Nach den ersten zwei Löffeln begann Rowena zu würgen. Lorene griff nach einer Schüssel.
„Probieren wir den Gelee”, schlug die Schwester vor, als der Brechreiz sich gelegt hatte.
Der süße, synthetische Kirschennachtisch schmeckte bemerkenswert gut. Rowena konnte ihn sogar vollständig aufessen und zusätzlich noch die Hälfte des Apfelsaftes trinken.
„Wenn’s drin bleibt, komme ich zurück und mache Sie von dem Ding da los”, versprach Schwester Lorene. „In ’ner halben Stunde bringe ich Ihnen sowieso Ihre Schmerzmittel. Übrigens – wieso lässt sich Ihr Kavalier eigentlich nicht mehr blicken?”
„Reid? Der ist doch nicht mein Kavalier!” murmelte Rowena schläfrig und hoffte, dass die anderen damit aufhörten, sie und Reid zu verkuppeln. „Der ist nur …” Ja, was? Ein Freund? Wohl kaum. Und ihr Liebhaber auch nicht, obwohl sie im Traum schon einige Male mit ihm geschlafen hatte. Doch bevor ihr eine passende Antwort einfiel, war sie schon eingeschlafen.
26. KAPITEL
W ie versprochen, kam Mark mit einer Sammelmappe zurück, in dem sich Ausdrucke einer Anzahl von Artikeln befanden. „Ich hab noch keine Zeit gehabt, sie mir vorzunehmen”, berichtete er. „Das muss warten, bis du entlassen wirst. Einverstanden?”
„Sicher. Dann können wir sie gemeinsam durchlesen. Natürlich nur, wenn du willst.” Sie zögerte einen Augenblick. „Was Reid angeht …”
„Was soll mit dem sein?”
„Ihr zwei habt doch in letzter Zeit ziemlich oft zusammengesessen. Ich dachte, ich könnte …”
Abrupt unterbrach er sie. „Ro, ich verrate dir sowieso nicht, was wir besprochen haben. Also frag mich erst gar nicht. Es wäre unanständig und auch nicht fair, wenn ich dir was davon erzählen würde.”
„Beantworte mir nur eine Frage. Weiß er, dass ich über die Filme informiert bin?”
„Nein, das weiß er nicht. Das Thema hat sich auch nicht ergeben. Und ich sah erst recht keinen Grund, es aufs Tapet zu bringen.”
„Gut. Mehr wollte ich gar nicht wissen. So. Und wie geht’s Richard?”
Nachdem er gegangen war, entnahm sie der Mappe den ersten Artikel. Vom Lesen wurde ihr jedoch derart schwindlig, dass sie den Versuch gleich wieder aufgeben musste und die Mappe in der Schublade des Bettschränkchens verstaute. Am vierten Tag vermocht sie bereits ihm Bett zu sitzen, ohne das Gefühl zu haben, das ganze Krankenzimmer drehe sich um sie. Dennoch, mehr als ein, zwei Zeilen konnte sie nicht lesen, da ihr sofort wieder übel wurde. Am Morgen des fünften Tages wollte sie gerade
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