Abschied aus deinem Schatten
alle sich bei der Krankenwache gegenseitig abgelöst hatten. „Wir sind nicht … Ich weiß nicht, was Reid und ich sind …”
„Also, hör zu, Kleines. Du hast eine ganze Menge mitgemacht, und ich will dich nicht überanstrengen. Jetzt ruh dich erst einmal aus und schlaf ein wenig. Morgen früh komme ich wieder.” Er hielt kurz inne und fügte dann schuldbewusst hinzu: „Rowlie, leider muss ich dann morgen auch wieder nach Hause. Ich habe einen Termin vor Gericht, der sich nicht aufschieben lässt. Zweimal ist er schon vertagt worden. Noch eine Verlegung lässt der Richter nicht zu. Vielleicht kommst du uns besuchen, sobald du wieder auf den Beinen bist.”
„Mit dem größten Vergnügen, Dad!”
„Prima. Wir holen Gwyn und Derek dazu, damit du alle kennen lernst.” Er stand auf, beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn. „Schlaf gut. Wir sehen uns dann morgen früh. Ich liebe dich, Rowlie!”
„Ich dich auch, Dad!”
„Warum hat er mich nicht besucht? Es ist doch jetzt schon drei Tage her!”
„Enttäuscht?” fragte Mark.
„Nein”, log sie. „Wundert mich nur.”
„Er war sich nicht sicher, ob er auch willkommen sein würde. Kannst du’s ihm verdenken?”
„Nein”, räumte Rowena ein. „Verdenken kann man’s ihm nicht.”
„Er mag dich wirklich, Schätzchen. Gibt nicht viele, die das machen würden – hier Tag und Nacht zu hocken, so wie er!”
„Da ist sicher was dran.”
„Na, und ob! Nachdem er wusste, dass du über den Berg bist, hat er sich rar gemacht. Unter uns, Ro, ich halte ihn für einen anständigen Kerl. Ich kann ihn verdammt gut leiden. Aber ich werde dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast. Wahrscheinlich würdest du mir ohnehin nicht zuhören.”
„Vielleicht doch. Normalerweise nehme ich das ernst, was du zu sagen hast.”
„Normalerweise, ja. Aber nicht immer.”
„Nein”, gab sie zu. „Immer nicht. Das heißt aber nicht, dass ich deine Meinung für falsch halte. Es bedeutet lediglich, dass ich zuweilen nicht die Gescheiteste bin.”
„Gescheit bist du immer, Kleines. Nur Selbstvertrauen – das fehlt dir von Zeit zu Zeit.”
„Wohl eher meistens. Mark, würdest du etwas für mich erledigen?”
„Alles! Brauchst es nur zu sagen!”
Gerührt über so viel Hilfsbereitschaft, musste sie die Tränen zurückhalten. Nach ihrem Gefühl hatte sie seit dem Unfall ohnehin zu nah am Wasser gebaut. „Kannst du mir in der Bibliothek alles über das Fötale Alkoholsyndrom heraussuchen?”
„Klar. Darf man fragen, wozu?”
„Mir ist da was eingefallen. Falls du Zeit hast, lies alles, was du finden kannst, und untersuch es auf mögliche Zusammenhänge mit Claudia.”
„Ach Gott, Rowena! Ich dachte, diese Angelegenheit hätten wir nun endlich hinter uns!”
„Solange ich nicht die notwendigen Antworten habe, kann ich es nicht vergessen! Und einige Antworten haben mit diesem Syndrom zu tun. Bitte, Mark, tu mir den Gefallen!”
„Gefällt mir zwar nicht, aber meinetwegen”, willigte er ein. „Ich tu mich mal um und liefere dir die Ergebnisse heute Abend.” Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich muss los. Marcia vertritt mich. Ich habe versprochen, ihr ein Sandwich mitzubringen.”
„Bestell ihr liebe Grüße.”
„Ist gebongt.”
„Einen Gefallen noch … darf ich?”
„Was?” fragte er argwöhnisch.
„Könntest du mir die Handtasche geben?”
„Brieftasche, Schmuck und was weiß ich sind im Schwesternzimmer hinterlegt.”
„Schon gut. Ich möchte nur meine Handtasche.”
„Du willst den Spiegel. Hab ich Recht?”
„Ich will wissen, wie ich aussehe.”
„Na schön. Aber lass dich warnen. Gut siehst du nicht aus.”
„Das ist mir bekannt.”
„Du siehst wirklich nicht toll aus!”
„Ich will mich trotzdem sehen. Würde dir das nicht genauso gehen?”
„Doch.” Er trat an den Wandschrank, nahm die Tasche aus dem Fach und stellte sie ihr in Reichweite auf das Bettschränkchen. „Das Essen kommt. Heute kriegst du zum ersten Mal leichte Kost, du kleiner Glückspilz. Hungrig?”
„Hm!”
„Prima.” Er küsste sie flüchtig auf die Lippen. „Ich liebe dich! Bis später!” Und schon war er fort.
Rowena fühlte sich fast wie ein unartiges Kind, holte tief Luft und hob verstohlen den Schminkspiegel. Was sie sah, traf sie wie ein Schlag. Mark hatte nicht übertrieben. Beide Augen waren schwarz umrandet, die Augäpfel nicht weiß, sondern blutunterlaufen und völlig rot. Das Gesicht,
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