Abschied aus deinem Schatten
dich?”
„Da war ein älterer Mann … der scherte aus … direkt vor mir … da bin ich gegen den Baum geknallt!”
„Ältere Dame”, stellte er richtig. „Die ist übrigens einfach weitergefahren. Die Frau, die den Notarzt verständigt hat, war Zeugin. Sie hat sich das amtliche Kennzeichen von dem Cadillac gemerkt und ist bei dir geblieben, bis der Rettungswagen eintraf.”
„Sie hat mir gut zugeredet … meine Hand gehalten … ich weiß nicht mal, wie sie heißt.”
„Jenny. Als sie in der Bibliothek anrief und mich informierte, blieb mir fast das Herz stehen. Ich bin wie ein Irrsinniger raus und kam hier im Krankenhaus fünf Minuten nach deiner Einlieferung an. Und diese Jenny, die gute Seele, ist hinter dem Krankenwagen hergefahren. Eine bemerkenswerte Frau! Kommt fast tagtäglich her und sieht nach dir.” Er schniefte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass dir alles wehtut und dass dir das Sprechen schwer fällt – aber kannst du mir mal sagen, wieso du deinen Sicherheitsgurt nicht angelegt hattest?”
„Vergessen”, gestand Rowena, seine Hand fest umklammernd, während sie plötzlich jene wenigen Sekunden durchlebte, als der Baum gleichsam auf das Auto zugerast kam und sie wie wahnsinnig am Lenkrad kurbelte, um noch auszuweichen. Noch einmal vernahm sie das donnernde Krachen des Aufpralls, spürte ihre eigene Schwerelosigkeit in dem Moment, als sie zur Seite und mit dem Kopf voran gegen die Beifahrertür geschleudert wurde. „Tut mir Leid … vergessen …” Erneut fühlte sie die alles verschlingende Todesangst, und in ihrem Schädel hallte das Kreischen von berstendem Metall wider, das splitternde Geräusch der in einem Scherbenregen auf sie niederprasselnden Scheiben.
„Kann ja mal passieren”, meinte er nachsichtig.
„Ich hab geträumt … du … Reid … Kip … mein Vater …”
„Sie waren alle hier, Ro.”
Rowena brauchte einige Zeit, um diese Bemerkung zu verarbeiten. Als sie begriff, wollte sie sich aufsetzen, doch der Schmerz jagte so explosionsartig durch ihren Schädel, dass sie zurückzuckte. Die Augen fest geschlossen, kämpfte sie gegen den aufsteigenden Brechreiz an. „Mein Vater?” fragte sie, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte. „Hier?”
„Allerdings. Im Augenblick sitzt er mit Kip in der Cafeteria und isst etwas.”
„Wie … wie kommt er hierher?”
„Ich habe ihn angerufen, nachdem ich in deiner Küche die Briefe gefunden hatte. Alle möglichen Leute hab ich verständigt, und mittlerweile waren zig Besucher hier, Ro. Die Hälfte der Kollegen von der Bibliothek, Penny eingeschlossen, und nacheinander die gesamte Restaurantbelegschaft. Der harte Kern – meine Wenigkeit, Tony, Kip und dein Dad –, wir haben uns täglich abgelöst, im Schichtdienst sozusagen, und hier gesessen und mit dir geredet. Wir haben alle geglaubt, du würdest uns hören.”
„Und ich dachte, ich träume …” Mit Tränen in den Augenwinkeln fiel ihr erstmals auf, dass jede verfügbare Fläche und das gesamte Fensterbrett mit Blumen voll gestellt war.
Reid? Der soll mich jeden Tag besucht haben? Und mein Vater auch?
Mit einem Papiertuch tupfte Mark ihr das Gesicht ab.
Keine Träume, grübelte sie, während sie merkte, wie die Ränder ihres Sichtfelds ganz allmählich verschwammen. Sie wollte wach bleiben, wollte ihren Vater begrüßen! Er war hier, im selben Gebäude! „Die Pillen wirken nun …” flüsterte sie kaum hörbar, außer Stande, sich zu konzentrieren.
„Schlaf jetzt”, sagte Mark und hielt sich ihre Hand an die Wange. „Ruh dich aus und werde gesund! Ich halte hier Wache.”
Als sie das nächste Mal aufwachte, da war es ihr Vater, der auf dem Stuhl neben ihr saß. Noch benommen von den Schmerz stillenden Mitteln, musste Rowena mehrmals blinzeln, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Dann streckte sie die Hand nach ihm aus. „Dad!” flüsterte sie.
„Rowlie, mein Mädchen! Wie geht es dir?”
„Ich freue mich so, dass du da bist!” Sie konnte sich der Tränen, die ihr nun aus den Augenwinkeln liefen, nicht erwehren.
„Möchtest du etwas Wasser, mein Schatz?” fragte er, wobei er ihr zärtlich das Gesicht mit einem Papiertuch abtupfte, das er aus der Schachtel auf dem Schränkchen genommen hatte.
Als sie nickte, hielt er ihr das Glas mit dem Trinkhalm an die Lippen, damit sie schlucken konnte. „Du siehst großartig aus, Dad!” Schlank und offensichtlich bei bester Gesundheit, wirkte er gute zehn Jahre jünger als
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