Abschied aus deinem Schatten
fehlten ihr die entsprechenden Voraussetzungen, also die Fertigkeiten und Fähigkeiten, die sie ja nie erworben hatte.
Rowena steckte die Artikel gerade wieder in die Sammelmappe zurück, als jemand an die offene Tür klopfte. Auf der Schwelle stand Ian.
„Komme ich ungelegen?” fragte er.
„Nein, nein, Ian.” Sie lächelte. „Bitte, nur herein!”
Er war wie immer tadellos gekleidet und trug einen dunkelblauen Anzug in leichter Wollqualität, ein blauweiß gestreiftes Baumwolloberhemd mit weißem Kragen und weißen Manschetten und dazu eine einfarbig rote Seidenkrawatte. Angenehm nach einem Rasierwasser mit Apfelaroma duftend, trat er an Rowenas Bett und stellte einige Styroporbehälter, wie sie gemeinhin zum Transportieren von warmen Speisen benutzt werden, auf ihr Bettschränkchen.
„Da ich weiß, wie abscheulich Krankenhauskost zuweilen schmeckt, habe ich Philippe gebeten, Ihnen etwas Leichtes zum Lunch zu zaubern. Ich hoffe, es ist Ihnen recht.”
„Mehr als recht sogar. Ich habe geradezu Heißhunger auf ordentliches Essen. Herzlichen Dank!”
Außer den Behältern hatte er noch mehrere Servietten und Plastikbestecke mitgebracht, die er auf der ausklappbaren Platte ablegte. „Darf ich mich einen Moment setzen?”
„Bitte!”
„Wie geht es Ihnen denn, Rowena?” fragte er besorgt, nachdem er Platz genommen hatte. „Wir waren alle in großer Sorge um Sie. Ich hatte Hemmungen, früher zu kommen. Ich befürchtete, es könnte stören.”
„Ich weiß, ich sehe zwar noch verboten aus, bin aber auf dem Weg der Besserung. Übermorgen darf ich vielleicht nach Hause.”
„Na, das hört man gern! Kann ich bis dahin noch irgendetwas für Sie tun? Brauchen Sie etwas?”
„Überhaupt nichts. Gerade vor einem Moment habe ich noch mit Kip telefoniert. Er berichtete mir, dass Sie ihn an die Rezeption versetzt haben. Das war ein glänzender Einfall.”
„Er ist ein fähiger und umgänglicher junger Mann, wie Sie bestimmt selbst wissen, und macht seine Arbeit hervorragend. Ich war so frei und habe ihm das Gehalt etwas aufgebessert. Sie haben doch sicher nichts dagegen?”
„Absolut nicht. Und? Läuft im Lokal alles glatt?”
„Oh ja, sehr.” Offenbar konnte er den Blick überhaupt nicht von ihr abwenden. „Es tut mir außerordentlich Leid wegen Ihres Unfalls, Rowena. Wir haben uns alle schreckliche Sorgen um Sie gemacht.”
„Ich hatte mehr Glück als Verstand, da ich mit dem Mercedes gefahren bin”, sagte sie. Dass er stocksteif auf dem Stuhl saß und sich offensichtlich nicht sonderlich wohl in seiner Haut fühlte, war ihr nicht entgangen. Offenbar zählte er zu den Menschen, für die ein Besuch am Krankenbett einer Bekannten, dazu noch im Krankenhaus, eine Tortur darstellt. „Wäre es mein Honda gewesen, dann läge ich wahrscheinlich jetzt ganz woanders.”
„Da können Sie wirklich von Glück sagen”, stellte er zustimmend fest. „So, aber nun muss ich wieder.” Er stand auf. „Wollte nur mal kurz hereinschauen und Ihnen das Essen vorbeibringen.”
„Sehr fürsorglich von Ihnen.” Sie streckte ihm die Arme entgegen.
Verblüfft zögerte Ian zwar einen Moment, beugte sich dann jedoch zu ihr herab, um sich von ihr umarmen zu lassen und sie auf die Wange zu küssen. „Vermutlich sprechen wir ausführlicher über die Sache, wenn Sie wieder daheim sind”, sagte er und richtete sich auf.
„Auf jeden Fall. Und vielen Dank dafür.” Sie wies auf die Behälter. „Bestellen Sie allen im Lokal liebe Grüße von mir.”
„Gern. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen, was Philipp da für Sie zusammengemixt hat.” Er lächelte, machte dann kehrt und marschierte zur Tür hinaus.
Rowena verspeiste gerade die letzten Bissen der pochierten Hühnchenbrust in leichter Creme Tarragon mit Wildreis, als Dr. Rothbart hereinkam.
„Sagt Ihnen wohl nicht allzu sehr zu, unsere Verpflegung, wie?” bemerkte er schmunzelnd.
„Nicht besonders, nein.” Sie lächelte zurück und legte Messer und Gabel hin.
„Wundert mich keineswegs. Wie fühlen Sie sich?” fragte er mit einem Blick auf ihre Krankenakte.
„Viel besser. Heute konnte ich sogar lesen, ohne dass mir schlecht wurde.”
„Gut, prima.” Nachdem er die Karte wieder an ihrem Platz am Fußende des Bettes eingehängt hatte, trat er näher, um Rowenas Platzwunde am Kopf zu begutachten. „Heilt ja schön ab.” Abermals leuchtete er ihr in die Augen und zückte den Ohrspiegel, um auch die Ohren zu untersuchen. „Wissen Sie was, Rowena? Ich denke,
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