Abschied aus deinem Schatten
bald wieder auf dem Damm bist.”
„Ich lege schon nicht auf. Wie geht’s, Penny?”
„Besser jedenfalls als vor ein paar Wochen noch. Hab mich inzwischen abgeregt.”
„Freut mich zu hören.”
„Ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen. Ich weiß, ich habe mich wie eine Furie aufgeführt.”
Rowena lachte. „Das lässt sich nicht bestreiten.”
„Mir ist jetzt auch klar, dass ich unsere Freundschaft zerstört habe. Das werde ich sicher für den Rest meiner Tage bereuen. Trotzdem wirst du mir immer lieb und teuer sein, Ro. Ich werde auch nicht versuchen, mich zwischen dich und Kip zu drängen. Ihm liegt nämlich sehr viel an dir.”
„Mir umgekehrt an ihm auch. Es ist mir nie darum gegangen, deine Autorität als Mutter zu untergraben oder ihn zu beeinflussen.”
„Ich weiß, ich weiß. Ich bin weit übers Ziel hinausgeschossen. Sei’s drum. Machs gut, okay?”
„Du auch. Danke für den Anruf.”
Kaum hatte sie aufgelegt, als das Telefon erneut läutete. In der Erwartung, Penny habe noch etwas vergessen, nahm sie ab. Fast hoffte sie schon, dass sie es noch einmal war, denn sie hatte das Gefühl, dass sie sich eigentlich mehr zu sagen hatten. Doch Penny war nicht am Apparat.
„Spreche ich mit Rowena?” fragte eine weiche, tiefe, vertraute Stimme, die sie nicht recht einordnen konnte.
„Ja.”
„Hallo. Jenny Nichols hier.”
„Ihre Stimme kam mir doch gleich so bekannt vor! Wie geht es Ihnen?”
„Sehr gut. Doch was viel wichtiger ist: Wie geht es
Ihnen
?”
„Viel, viel besser. Lieb von Ihnen, dass Sie anrufen.”
„Ich hatte große Angst um Sie, Rowena. Als wir da an der Unfallstelle auf den Notarztwagen warteten, habe ich unentwegt versucht, Sie in ein Gespräch zu verwickeln. Etwas anderes fiel mir nicht ein. Wahrscheinlich habe ich mal irgendwo gelesen, dass man das machen soll. Der Situation haftete allerdings auch etwas unglaublich Unwirkliches an – ich hatte den Eindruck, als verstünden wir uns irgendwie. Es war vielleicht eine jener Erfahrungen, die über den Augenblick hinaus wirken …”
„Richtig. Das habe ich auch gespürt.”
Jenny Nichols holte hörbar Luft und lachte erleichtert auf. „Ich fürchtete schon, Sie könnten mich für eine von diesen New-Age-Aposteln oder so etwas halten. Wissen Sie, während wir warteten, da war mir fast, als würden Sie sterben. Irgendwie fühlte ich mich verpflichtet, Sie am Leben zu erhalten.”
„Wahrscheinlich haben Sie das sogar.”
„Das bezweifle ich aber sehr! Tatsache ist allerdings, dass ich keine Ruhe fand, ehe ich nicht wusste, dass Sie am Leben bleiben. Nun haben Sie es ja überstanden, jetzt kann ich Sie loslassen. Hoffentlich haben Sie dafür Verständnis!”
„Durchaus. Doch ehe Sie mich loslassen – ich würde Sie gern einmal abends in meinem Restaurant als Gast begrüßen. Ließe sich das einrichten?”
„Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, aber ich bin sehr abergläubisch. Ich denke, Sie und ich, wir haben unseren … Vertrag … erfüllt. Ein besserer Ausdruck fällt mir nicht ein. Es wäre meiner Ansicht nach ein Fehler, mehr daraus zu machen, als es sein sollte. Daher wollen wir uns lieber gegenseitig alles Gute wünschen und uns Lebewohl sagen.”
„Einverstanden”, stimmte Rowena zu, so bewegt, dass ihr fast die Stimme versagte. „Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, Jenny Nichols!”
„Leben Sie wohl.”
„Klingt mir sehr nach Zen”, bemerkte Mark beim Lunch, nachdem Rowena ihn über das Telefongespräch mit Jenny Nichols informiert hatte. „Gefällt mir. Hat Stil, die Frau!”
„Dann rief mein Vater an”, fuhr Rowena zwischen zwei Löffeln von Marks selbst gekochter Pilzsuppe fort. „Ich habe ihm berichtet, was ich über das Fötale Alkoholsyndrom in Erfahrung gebracht habe. Er war genau wie ich der Ansicht, dass es hundertprozentig auf Claudia zutrifft.”
„Der Einsicht kann ich mich wohl jetzt, da ich das Material studiert habe, auch nicht verschließen. Ich frage mich allerdings, wieso niemand früher darauf gekommen ist?”
„Das ist ja das Schlimme an FAS – es fällt kaum auf. Wahrscheinlich hätte man mit Claudia zusammenleben müssen, um die Symptome zu bemerken. Wer nicht über einen längeren Zeitraum ihrem Verhalten ausgesetzt war, konnte das eigentlich gar nicht erkennen.”
„Und dann die jahrelangen Psychotherapien! Eine kolossale Geldverschwendung!” Er brach sich ein Stück von dem frischen, knusprigen Baguette ab und bestrich es mit
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