Abschied aus deinem Schatten
Tage lässt sie kein gutes Haar an ihm.”
„Ach, herrje! Was soll er denn verbrochen haben?”
„Weiß der Geier! Man kommt ja nicht an sie ran! Die schneidet sich doch nur ins eigene Fleisch, aber mächtig! Was ist denn jetzt – kriege ich den Job?”
Rowena dachte kurz nach. Ihr war überhaupt nicht wohl bei der Sache. „Wahrscheinlich reite ich uns beide gewaltig rein, aber okay, du sollst ihn haben.”
„Spitze! Danke! Wusste ich doch, dass du mich nicht hängen lässt. Und keine Sorge – das läuft alles! Wirst schon sehen!”
„Ich will es hoffen – deinetwegen.”
Damit beendeten sie das Gespräch, und während Rowena sich eine Zigarette anzündete, konnte sie sich des bangen Gefühls nicht erwehren, dass diese Geschichte kein gutes Ende nehmen würde.
Genauso wie kurz nach Claudias Tod schlief Rowena in der folgenden Nacht schlecht. Ständig zwischen Träumen und Wachen schwebend, legte sie sich in dem Bemühen, ihre Differenzen endlich auszutragen, wiederholt in Gedanken mit Penny an, wobei die Vernunft ihr auf penetrante Art dauernd ins Gewissen redete. Penny ließ sich indes nicht erweichen. Der Streit drehte sich immerfort im Kreis und raubte Rowena den letzten Nerv. Entweder, so sagte sie sich, wälzt du dich hier weiter herum, weder wach noch schlafend, oder du wachst richtig auf. Also gab sie sich einen Ruck und riss sich widerwillig aus diesem Dämmerzustand.
Während sie sich im Dunkeln die Treppenstufen hinabtastete, hielt sie plötzlich inne. Vor ihrem geistigen Auge erschien einer der Männer aus Claudias Filmchen, und sie stellte sich vor, wie er ihrer Schwester ein Kissen über das Gesicht hielt, bis sie zu atmen aufhörte. Dann kippte er Claudias Schlaftabletten aus der Schachtel in die Hosentasche und ließ den leeren Behälter auf dem Nachtisch liegen. Bei allem, was er berührte, benutzte er ein Taschentuch, damit keine Fingerabdrücke auf den jeweiligen Gegenständen zurückblieben. Unten im Wohnzimmer griff er nach der erstbesten Flasche, es war zufällig Chivas Regal, schenkte etwas Whisky in ein Glas ein und goss die Flüssigkeit, nachdem er sie im Glas hatte kreisen lassen, sorgsam in die Whiskyflasche zurück. Wieder oben im Schlafzimmer, legte er Claudias leblose Finger um Glas und Whiskyflasche und krönte sein Werk, indem er Claudia das Glas kurz an die Lippen hielt, um es sodann ebenfalls auf das Nachttischchen zu stellen.
So in etwa könnte sich alles abgespielt haben. Eine Obduktion hätte natürlich ergeben, dass keinerlei Alkohol oder Schlafmittel in ihrem Blutkreislauf nachzuweisen waren. Aus eben diesem Grund hatte Rowena auch nicht die Leiche ihrer Schwester einäschern lassen. Denn noch Jahre später könnten die sterblichen Überreste exhumiert und auf Spuren eines Verbrechens untersucht werden.
Gähnend und mit tränenden Augen ging sie in die Küche, goss sich ein Glas Mineralwasser ein und setzte sich damit an den Küchentisch. Groteske Spinnereien! schalt sie sich. Oder etwa doch nicht? Auch wenn sie womöglich nie den wahren Grund für Claudias frühes Ende erfahren würde, durfte sie sehr wohl dennoch versuchen, den Tod ihrer Schwester zu verarbeiten und sich einen Reim darauf zu machen.
Da sie dringend einer Aufmunterung bedurfte, unternahm sie am nächsten Morgen eine Ausflugsfahrt zum Stamford Town Center. In der Kosmetikabteilung des Kaufhauses Maceys erteilte ihr eine engagierte junge Dame innerhalb kurzer Zeit einen Grundkurs in Sachen Make-up. Rowena staunte nicht schlecht, als sie ihr verändertes Gesicht im Spiegel der jungen Kosmetikerin sah. Wenn man nach diesem neuen Aussehen gehen durfte, war sie tatsächlich nicht so unansehnlich, wie sie bislang gedacht hatte.
„Gut sehen Sie aus”, urteilte die junge Dame sachlich. „Und Sie brauchen das Zeug beileibe nicht gleich kiloweise aufzutragen.” Dabei legte sie verschiedene Schachteln auf den Tresen. „Lidschatten, Wimperntusche, ein bisschen Rouge, Lippenstift – und schon ist man ein völlig anderer Mensch!”
Ein völlig anderer Mensch, grübelte Rowena, während sie ihre Kreditkarte zückte. So übel wäre das gewiss nicht! Ohne jeden Zweifel verspürte sie ein neues Selbstvertrauen, als sie mit ihrer kleinen Tasche voller Kosmetika das Kaufhaus verließ. Bis zu einem gewissen Grad begriff sie nun, was ihrer Schwester als Teenager beim Experimentieren mit Schminksachen solchen Spaß gemacht hatte. Sich zu schminken, das war fast so etwas Ähnliches wie eine Verkleidung, eine
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