Abschied aus deinem Schatten
Fußboden des Ankleidezimmers kauerte und sich ein Paar Socken überstreifte, überlegte sie, dass Claudia Pennys Wutanfall mit Gleichmut über sich hätte ergehen lassen und entweder gesagt hätte: „Na ja, damit wären die Fronten geklärt – wie sieht es aus, wollen wir uns morgen Abend treffen?” Oder sie hätte gefragt: „Hör mal, glaubst du etwa, ich gäbe einen feuchten Kehricht auf den Blödsinn, den du da verzapfst?” Sie hatte die beneidenswerte Fähigkeit besessen, sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Und in Augenblicken wie diesem wurde Rowena schmerzhaft bewusst, wie sehr ihr die Schwester fehlte. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Claudia eine solch ansteckende, überschäumende Liebenswürdigkeit ausgestrahlt, dass man sie einfach gern haben musste. An einen Vorfall erinnerte Rowena sich besonders. Er hatte sich zugetragen, als sie unmittelbar nach der Eröffnung mit ihrer Kollegin Marcia ins „Le Rendezvous” zum Dinner eingekehrt war.
Mit strahlendem Lächeln war Claudia auf sie zu geeilt, um sie zu umarmen. „Ro, das ist ja wunderbar!” rief sie aus. „Ich wollte dich schon die ganze Zeit anrufen und herbitten, aber hier war der Teufel los!” Unvermindert strahlend begrüßte sie auch Marcia mit ausgestreckter Hand. „Hi, ich bin Claudia. Schön, dass Sie mitgekommen sind. Dann wollen wir euch zweien mal einen richtig schönen Tisch suchen.” Nach der Platzwahl hatte sie der Bedienung eingeschärft: „Mae, das hier ist meine Schwester Rowena und ihre Freundin Marcia. Sie kümmern sich ganz besonders aufmerksam um sie, klar?”
Dann lehnte sie sich, die Hand auf Rowenas Schulter, ganz eng an ihre Schwester. „Ihr müsst unbedingt das Hühnchen probieren. Einfach göttlich. So, nun wünsche ich guten Appetit. Ich lasse mich später wieder sehen.”
Sie gaben ihre Bestellung auf, und Mae brachte eine Flasche Wein mit den Empfehlungen des Hauses. Während sie beide ein Glas davon probierten, plauderte Claudia angeregt mit einem Paar, das auf der anderen Seite des Lokals saß. Marcia war beeindruckt. „Deine Schwester sieht umwerfend aus, Ro. Und so herzlich ist sie!”
Rowena konnte nur zustimmen. Das lange schwarze Crêpekleid mit dem tiefen runden Ausschnitt und den langen Ärmeln betonte Claudias üppige Brüste und ihre schmale Taille. Mit erhitzten Wangen und so begeistert, dass man es beinahe körperlich spürte, schwebte sie wie ein munterer, koketter Teenager von Tisch zu Tisch, gesellte sich mal hier, mal dort zu den Gästen, kredenzte einem distinguiert wirkenden Paar mittleren Alters einen Begrüßungslikör, um danach wieder mit zwei Geschäftsleuten an der Bar zu schäkern. Sie amüsierte sich köstlich. Rowena war richtig stolz auf sie. Claudia war in ihrem Element und präsentierte sich gekonnt als der Star ihrer eigenen kleinen Show. Es war beeindruckend, wie sie pausenlos auf Trab war, ohne dass ihr etwas entging.
Gerade tranken Rowena und Marcia ihren Kaffee aus, als Claudia, Herzlichkeit und Wärme in Person, zum Tisch zurückkehrte. „Wie war’s? Hat das Hühnchen geschmeckt? Ist es nicht köstlich? Möchtet ihr denn keinen Nachtisch? Jill hat ein ganz leckeres Himbeerbaiser mit Zitronencreme gezaubert. Wollt ihr davon nicht kosten?”
„Hört sich herrlich an, aber ich bekomme keinen Bissen mehr hinunter”, wehrte Rowena ab.
„Und Sie?” wandte Claudia sich an Marcia.
„Bedaure”, kam die Antwort. „Ich bin satt bis oben!”
„Jammerschade. Eine Köstlichkeit! Ich hab’s mir statt des Hauptgerichts gegönnt”, gestand Claudia kichernd.
„Das sieht dir ähnlich.” Rowena lächelte. „Das Essen war wunderbar, aber nun möchten wir doch um die Rechnung bitten.”
„Also, ich bitte dich! Du bist schließlich meine Schwester! In meinem Lokal speist du auf Kosten des Hauses! Lasst euch ruhig Zeit, ihr zwei. Ich muss hier eben meine Tischrunde drehen, aber wir sehen uns noch, bevor ihr geht.”
Rowena und Marcia hinterließen je ein Trinkgeld von fünf Dollar für Mae auf dem Tisch und holten ihre Mäntel. Claudia gab Marcia zum Abschied wieder die Hand. „Hat mich sehr gefreut! Kommen Sie bald mal wieder vorbei, ja?”
„Ganz bestimmt!” Marcia war völlig hingerissen.
„Ro”, flüsterte Claudia und nahm Rowena, die die Wange ihrer Schwester heiß an ihrem Gesicht spürte, erneut in die Arme. „Ich freue mich so, dass du gekommen bist. Rufst du mich bitte an?” Sie löste sich und trat einen Schritt zurück. „Ruf mich an! Wir
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