Abschied aus deinem Schatten
fragen, an was er denn ursprünglich gedacht habe, als Jill und Mae mit seinem Regenmantel erschienen. „Kommen Sie, Ian”, befahl Mae. „Jill und ich bringen Sie heim.”
Mit einem Ruck fuhr er vom Sitz hoch und ließ sich widerstandslos den Mantel überziehen und zum Ausgang eskortieren, wobei die beiden Mädchen nochmals im Chor „Happy Birthday” riefen.
„Wirklich anständig!” rief Ian über die Schulter. „Ein Star sind Sie, Rowena. Ehrlich!”
Innerhalb von zwanzig Minuten war die Feier zu Ende. Alle machten sich zum Aufbruch bereit. Kip begleitete Rowena zum Mercedes. „Hat’s dir Spaß gemacht, Tante Rowena?” fragte er. „War’s ’ne echte Überraschung, oder hast du dir schon so was gedacht?”
„Die Überraschung ist euch geglückt, und Spaß hatte ich auch.”
„Cool. Und das Geschenk? Findest du das auch echt gut?”
„Wunderschön ist das, mein Lieber.”
„Wusste ich doch, dass es dir gefällt”, meinte er fröhlich und strahlte über dass ganze gut aussehende Jungengesicht. „Echt Spitze, die Party. Bis morgen, Tante Ro.” Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und wartete dann, bis sie den Parkplatz verlassen hatte. Im Rückspiegel sah sie ihn zu seinem Wagen laufen.
Schon als Rowena die Haustür öffnete und eintrat, spürte sie auf Anhieb, dass etwas nicht stimmte. Die Atmosphäre des Hauses hatte sich verändert; man merkte es unwillkürlich. Sie ließ die Tür offen stehen und trat, nachdem sie das Licht im Foyer eingeschaltet hatte, in den Durchgang zum Wohnzimmer. Suchend glitten ihre Finger über die Wand, und als sie den Schalter fand und die Deckenleuchte aufflammte, starrte Rowena sprachlos auf das Durcheinander, das sich ihr bot. Sämtliche Bücherregale waren ausgeräumt und alles wahllos auf den Boden geworfen worden. Die Schrankwand stand winklig von der Wand abgerückt, die Schubladen waren herausgezogen, die Schranktüren weit offen.
Zitternd lief sie ins Esszimmer und tastete sich, ohne Licht zu machen, zum Telefon. Nur mit großer Mühe konnte sie in der Dunkelheit die Ziffern erkennen, als sie den Notruf wählte und mit trockenem Mund den Einbruch meldete. Nachdem sie die notwendigsten Details durchgegeben hatte, floh sie geradezu nach draußen, um im Wagen auf die Polizei zu warten.
Verängstigt betätigte sie die Zentralverriegelung und zündete sich eine Zigarette an. Es war zwar unwahrscheinlich, dass die Einbrecher sich noch im Haus aufhielten, doch sie hatte nicht die Absicht, noch einmal allein hineinzugehen. Stattdessen wollte sie vorsichtshalber abwarten, bis die Polizei nachgesehen und Entwarnung gegeben hatte. Großer Gott! Nicht auszudenken – Fremde im Haus! Womöglich hatten sie alles durchwühlt, alles mit ihren schmutzigen Fingern angefasst, all das mitgehen lassen, was ihnen gerade in den Kram passte! Richtig durchsichtig kam Rowena sich vor, als habe ihr Körper sich in Glas verwandelt. Fröstelnd saß sie da, kämpfte gegen den nahezu überwältigenden Drang an, einfach loszukreischen, und konnte doch nur stumm die Polizei zur Eile treiben.
Minuten verstrichen, wie die Uhr auf dem Armaturenbrett anzeigte. Rowena begann sich zu fragen, ob wohl einer von Claudias verflossenen Liebhabern hinter dem Einbruch steckte. Hatte der vielleicht nach den Videokassetten gesucht? Woher aber hätte er davon wissen sollen? Sicher, einer der Männer konnte durch Zufall von der Existenz der Bänder erfahren haben und war vielleicht mit der Absicht eingedrungen, sie verschwinden zu lassen. Warum allerdings ausgerechnet jetzt, Monate nach Claudias Tod? Dann fiel ihr plötzlich Ian ein. Ob er die Reifenpanne vielleicht nur vorgetäuscht und in Wirklichkeit das Haus durchsucht hatte? Lag darin etwa der Grund für seine Verspätung? Konnte es sein, dass auch er ein delikates Gastspiel auf einem der Videos gab? Aber weshalb hätte er mit der Suche bis jetzt warten sollen? Sie war zwar zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen, doch sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass es sich hier keineswegs um einen gewöhnlichen Einbruch handelte.
Zehn Minuten nach dem Notruf traf der Streifenwagen ein. Auf unsicheren Beinen stieg Rowena aus dem Auto, begrüßte die beiden Polizisten und betrat zusammen mit ihnen das Haus. Während sie mit dem einen Beamten in der Küche wartete, die offenbar von dem Einbruch unberührt war, untersuchte der andere rasch das Gebäude vom Boden bis zum Keller.
„Alles klar”, sagte er, als er zurückkam. „Sieht
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