Abschied aus deinem Schatten
manövrierte ihn mühelos und mit offensichtlichem Vergnügen. Nachdem sie die offene Bucht erreicht hatten und die Küste von Long Island deutlich erkennbar am fernen Horizont vor ihnen lag, stellte er den Motor ab und setzte sich Rowena gegenüber unter die Persenning. „Und?” fragte er. „Wie fühlen wir uns?”
„Es ist schön”, gab sie zurück, wohlig ermattet vom sanften Schaukeln des Bootes, das in der leichten Dünung dümpelte. Eine stetige, salzige Brise ließ die Ränder des Sonnendachs flattern, und die Spätnachmittagssonne, die sich im Wasser spiegelte, wirkte einschläfernd. „Ich könnte mich glatt hier zusammenkuscheln und auf der Stelle einschlafen.”
„Hab ich mir schon des Öfteren gegönnt, so ein Nickerchen hier draußen.” Über die Schulter warf er einen Blick auf die riesige Wasserfläche zwischen dem Boot und der Küste von Connecticut. „Zuweilen angle ich sogar.”
„Und, haben Sie schon mal was gefangen?”
„Hin und wieder mal einen Blaufisch, den ich gleich wieder zurückwerfe. Wäre mir nicht geheuer, einen Fisch zu verspeisen, der aus diesen Gewässern stammt.”
„Mir auch nicht. Schade eigentlich, nicht wahr?”
„Das Wasser ist zwar sauberer als noch vor zehn Jahren, aber das hat nicht viel zu bedeuten.” Er drehte sich um und sah sie an, die Hände zu beiden Seiten auf die Bank gestützt, die langen Beine ausgestreckt. „Also, ich habe dieses Boot hier. Und welches Spielzeug haben Sie?”
„Kein so großes wie dieses hier.” Sie lächelte ihm zu. „Vorwiegend Bücher. Und diesen Sommer habe ich den Garten umgestaltet. So etwas habe ich schon seit meiner Kindheit nicht mehr gemacht. Mein Vater liebte den Garten. Ich weiß noch, dass er seine gesamte Freizeit draußen verbrachte. Cary und ich durften ihm zur Hand gehen. Komisch.” Winzig kleine Lichtpunkte stachen ihr in die Augen, Sonnenlicht, das von der Wasseroberfläche reflektiert wurde. „Ich hätte nie gedacht, dass man regelrecht süchtig danach werden kann. Selbst im Restaurant denke ich manchmal daran, schnell zum Gartencenter zu fahren und einen Strauch oder Busch zu holen, der an eine bestimmte Stelle passen würde. Allmählich begreife ich die Briten und ihre Passion für Gärten. Auch in China habe ich ganz unglaubliche Gartenanlagen gesehen. Am besten gefällt mir der Garten des Fischers in Suzhou.”
„Nach China wollte ich auch schon immer”, bemerkte er. „Als Junge ging ich jeden Sommer mit meinen Eltern auf Reisen. Ich war ganz wild auf Ozeanriesen und habe es jahrelang bedauert, dass ich zu spät geboren wurde, um noch mit der
Normandie
zu fahren, dem schönsten Dampfer, der je gebaut wurde. Auf der
Ile de France
und einigen anderen bin ich allerdings mitgefahren. Haben Sie schon mal eine Schiffsreise unternommen?”
Sie schüttelte den Kopf.
„Das ist die einzige zivilisierte Reisemethode, die uns noch geblieben ist. Fürs Fliegen habe ich absolut nichts übrig; die Menschenmengen in den Abflughallen, das Gedränge an den Gepäckförderbändern, all das kann ich nicht vertragen. Wenn ich mal aufhöre zu arbeiten, würde ich gern ein Jahr rund um die Welt gondeln – die Fjorde ansehen, das Mittelmeer, unsere Pazifikküste hinauf bis nach Alaska.”
„Mit anderen Worten: Insgeheim wünschen Sie sich ein richtig großes Spielzeug.”
Er legte den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus.
Rowena wünschte, sie hätte sich weniger als Zuschauerin, sondern mehr als Partnerin fühlen können. War sie mit einem Mann allein, schaltete sie unwillkürlich auf ein unnatürliches Verhalten um und gab sich krampfhaft gescheit und gewinnend. Der Einfluss ihrer Mutter auf ihr Unterbewusstsein machte sich in solchen Situationen deutlich bemerkbar, auch wenn Rowena noch so sehr dagegen ankämpfte. Diese Erkenntnis wirkte wie eine Blockade.
„Und wie, Rowena, lautet Ihr geheimer Wunsch?” fragte er und wischte sich mit dem Hemdsärmel über die Augen.
Die Frage erwischte sie völlig unvorbereitet –
dich, dich will ich!
–, und es dauerte eine Weile, bis sie die Fassung wiedergewonnen hatte. „Was ich mir schon immer gewünscht habe: in Ruhe gelassen zu werden.”
„Fühlen Sie sich denn bedrängt?”
Rowena legte den Kopf schräg. „Kehren Sie jetzt den Psychiater heraus?”
„Nein! Reine Neugier.”
„So interessant bin ich gar nicht.” Sie zuckte mit den Achseln und riskierte einen Blick in seine Augen, die noch klarer und blauer wirkten, weil sich die
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