Abschied aus deinem Schatten
ihrer Verblüffung gehorchte Penny. „Was, bitte, wolltest du mit dem Auftritt eben erreichen? Ist dir jetzt wohler? Sind deine Probleme gelöst? Fühlst du dich nun stärker, weil du es geschafft hast, jemanden fertig zu machen, der schwächer ist als du?” Sie verstummte und wartete, aber eine Reaktion blieb aus. „Nun? Was ist?” drängte sie, doch Penny hockte da wie ein großes, trotziges Kind und starrte Rowena nur mit hasserfülltem Blick an.
Der kalte Zorn ließ Rowenas Köper fast gefühllos werden. Sie riss die unterste Schreibtischschublade auf und griff nach ihrer Handtasche. Mit zitternden Fingern wühlte sie darin herum, bis sie die Zigarettenschachtel fand, zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen, hektischen Zug, um dann wortlos ihre frühere Freundin anzustarren, bis Ian mit zwei Kognakschwenkern zurückkehrte.
„Werden Sie mit dieser Person fertig, Rowena, oder soll ich lieber bleiben?” fragte er, wobei er Penny mit unverhüllter Verachtung musterte.
„Ich komme schon zurecht, vielen Dank.”
„Gnädigste”, wandte er sich an Penny, „Ihre Selbstbeherrschung lässt sehr zu wünschen übrig!”
„Auf Ihre Meinung pfeife ich”, konterte Penny abschätzig.
„Ich wette, Sie pfeifen auf alles und jedes”, stellte er kühl fest. „Sie gehören eingesperrt.”
„Danke, Ian”, sagte Rowena erneut und war froh über die Unterstützung.
„Sollten Sie mich brauchen – ich halte mich ganz in der Nähe auf”, teilte er ihr noch beim Hinausgehen mit.
Rowena griff nach einem der Gläser und trank es in einem Zug halb leer. Der scharfe Brandy verschlug ihr den Atem, und sie schüttelte sich, als die Flüssigkeit sich heiß den Weg durch die Eiseskälte in ihrem Inneren brannte. Noch einmal zog sie an der Zigarette und sagte dann: „Nimm einen Schluck, Penny, und hör mit dem melodramatischen Getue auf! Sag, was du zu sagen hast, und dann raus aus meinem Lokal!”
Penny starrte sie bestürzt an. „Hör dich nur mal reden!” erwiderte sie anklagend. „Du klingst doch gar nicht mehr wie früher!”
„Du fällst in einem voll besetzten Restaurant vor aller Augen über mich her, und dann nörgelst du an meiner Ausdrucksweise herum? Du bist doch wohl nicht ganz bei Trost!” Rowena konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, doch es klang eher wie ein heiseres Krächzen. Mit einem Mal fühlte sie sich, als wäre sie tausend Jahre alt. Sie hatte einfach nicht mehr die Kraft, mit diesem Irrsinn weiterzumachen.
„Du bist unfair”, beharrte Penny bockig. „Kip gegen mich aufzuhetzen, dazu hast du kein Recht!”
„Bitte! Das ist dummes Zeug, und ich habe nicht die geringste Lust, mir das anzuhören.” Rowena nahm einen letzten Zug, drückte die Zigarette aus und lehnte sich zurück, das Glas mit beiden Händen umfassend, als wolle sie sich daran wärmen.
„Es ist aber nicht fair!” Penny ließ nicht locker, griff nach dem anderen Schwenker und kippte den Inhalt geräuschvoll hinunter. Dann setzte sie das leere Glas ab. „Claudia stirbt, und plötzlich hast du alles – ihre Sachen, ihr Geld, das Haus, dies Lokal. Reicht das denn immer noch nicht? Musst du Kip auch noch haben?”
Mark hatte wieder einmal Recht gehabt. Es handelte sich tatsächlich um Eifersucht, und das war absolut lächerlich. Nie war jemand auch nur im Entferntesten neidisch auf sie gewesen. Dafür hatte es nie einen Anlass gegeben, und es gab auch jetzt keinen. „Menschenskind, ich habe Kip nicht! Er arbeitet hier nur und ist mein Angestellter, und zwar ein sehr guter und bei jedermann beliebter! Und ich weiß nicht, warum du unbedingt etwas anderes dahinter vermuten willst! Außerdem, damit das klar ist, auch wenn es dich eigentlich nichts angeht: Bis jetzt besitze ich noch nichts von meiner Schwester. Der Nachlass wird nach wie vor für die Testamentseröffnung geprüft. Das Restaurant leite ich lediglich als vorläufige Zwischenlösung, bis zur Vollstreckung, zusammen mit Notar und Bank. Die Renovierungskosten für das Lokal und das Haus wurden aus einer Lebensversicherung bezahlt, die Claudia schon so lange hatte, dass die Selbstmordklausel nicht davon berührt wurde. Sicher, ihre Kleider habe ich gekriegt, das stimmt. Und ihren Wagen fahre ich auch. Ja und? Wenn das Testament eröffnet wird, bekomme ich sowieso alles. Aber nicht die Millionen, die du dir offenbar vorstellst. Diese vorgeblichen Ungerechtigkeiten bildest du dir bloß ein!”
Penny nahm einen neuen Anlauf. „Nein! Du hast dich
Weitere Kostenlose Bücher