Abschied aus deinem Schatten
Getz-Gilberto aufgelegt, dem dann bei passender Gelegenheit eine Kassette mit Sambas von Laurindo Almeida folgte. Alle ließen sich von dieser Partylaune so anstecken und mitreißen, dass das Bedienungspersonal quasi im Sambaschritt zwischen Tischen, Bar und Küche hin und her tänzelte.
Zum Kaffee schickte Rowena eine Runde Likör auf Kosten des Hauses an den Jubiläumstisch, was mit überschwänglichen Lobpreisungen quittiert wurde. Essen, Service, das Ambiente des Lokals – all das wurde in den höchsten Tönen gelobt. Rowena war gerade zum Empfang zurückgekehrt, um einen Blick in die Reservierungskladde zu werfen. Es war halb zehn, und jeden Augenblick mussten Gäste erscheinen, die reserviert hatten und zu später Stunde speisen wollten. In diesem Moment öffnete sich die Tür. Automatisch lächelnd hob Rowena den Kopf.
Im Eingang erschienen nicht die erwarteten Spätankömmlinge, sondern Penny stand da. In grell pinkfarbenem Trainingsanzug sowie Laufsocken und Joggingschuhen, das Haar straff zu einem Pferdeschwanz gebunden, verhielt sie stocksteif auf der Schwelle und wirkte wie ein etwas zu füllig geratener, wutschnaubender Posaunenengel.
Rowena spürte förmlich die Szene, die nun unvermeidlich folgen würde. Innerlich schrie sie um Hilfe, suchte nach einem Ausweg, ließ indes alle Hoffnung fahren, denn es gab kein Entkommen. Nicht mehr lange, und hier würde die Hölle losbrechen.
Das Gesicht fratzenhaft verzerrt, ging Penny sofort auf sie los. „Ich hab dir gesagt, mein Sohn wird hier nicht arbeiten! Ich hab’s dir gesagt! Und du hast ihn gegen meinen ausdrücklichen Wunsch eingestellt!” Außer sich vor Zorn rückte sie derart dicht an Rowena heran, dass diese bis zur Wand zurückwich. „Für wen hältst du dich eigentlich, verdammt noch mal? Was fällt dir ein, dich einfach in unsere Angelegenheiten einzumischen?”
„Penny …”
„Halt gefälligst die Klappe!” Sie hielt Rowena die geballte Faust unter die Nase. „Am liebsten würde ich dir eine verpassen! Reiz mich bloß nicht!”
„Penny! Würdest du mir bitte zuhören? Jetzt ist weder die Zeit noch der Ort …”
„Du sollst die Klappe halten, habe ich gesagt!” Sie wurde immer lauter. „Ich bin hier, um meinen Jungen abzuholen! Ich nehme ihn mit, und von dir will ich kein Wort hören! Kapiert? Nicht ein einziges Wort! Also, wo steckt er?” Sie warf einen raschen, flüchtigen Blick in die Runde, ohne die Leute, die der Szene zuschauten, bewusst wahrzunehmen.
Rowena unternahm noch einen Versuch. „Das geht jetzt nicht …”
„Sag mal, hast du was an den Ohren?” Ihre Hand landete klatschend auf Rowenas Wange, gefolgt von einem kurzen, scharfen Boxhieb gegen den Oberam. „Deine Meinung …” – wieder ein schneller, schmerzhafter Stoß – „… juckt mich nicht die Bohne!” Wie um ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen, schickte sie einen weiteren Haken hinterdrein.
„Lass das!” flüsterte Rowena. Wo bleibt eigentlich Ian? fuhr es ihr durch den Kopf. Wieso springt mir niemand bei? Das darf doch alles nicht wahr sein! Um Deckung und Bewegungsfreiheit bemüht und um die Freundin auf Distanz zu halten, streckte sie die Hände aus, was von Penny sofort als aggressive Geste missverstanden wurde. Der nächste Boxhieb zielte auf den anderen Oberarm, worauf Rowena instinktiv die gekreuzten Arme schützend hoch riss. Sie spürte die Hitze, die von den getroffenen Stellen ausging. Tränen schossen ihr in die Augen.
„Umbringen könnte ich dich!” Wieder fuchtelte Penny ihr mit der Faust vor dem Gesicht herum. „So was von hintertrieben! Sitzt auf dem hohen Ross! Jetzt sieh zu, dass der Bengel herkommt, aber dalli! Sonst prügele ich dich windelweich!”
In diesem Augenblick kam Kip, der gerade auf der Terrasse gewesen war, durch den Kücheneingang herein. „Mom!” schrie er und rannte los, genau in dem Moment, in dem auch Ian aus dem Büro trat. „Tickst du noch richtig? Was soll das? Hör sofort auf damit!” Er fiel seiner Mutter in den Arm, wurde aber mühelos abgeschüttelt wie ein Kleinkind und musste mit beiden Händen zupacken. „Schluss, hab ich gesagt!”
Pennys ganze Wut richtete sich nun gegen ihn. „Wir sprechen uns noch, Freundchen! Hol deine Sachen! Du kommst auf der Stelle mit!”
„Was geht hier vor?” wollte Ian wissen. Die in schneidendem Ton geäußerte Frage unterbrach eine unheilvolle Stille, die sich über das Lokal gesenkt hatte.
„Geht Sie gar nichts an!” blaffte Penny.
„Mom,
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