Abschied aus deinem Schatten
jetzt reiß dich zusammen!” flehte Kip mit gepresster Stimme.
„Erzähl du mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe!”
„Jetzt aber raus hier, ja?” sagte Ian sachlich und fasste Penny energisch beim Arm.
Das darf doch nicht wahr sein! Das ist doch nicht wahr!
wiederholte eine Stimme in Rowenas Kopf unaufhörlich, während Penny von Kip und Ian außer Sichtweite der Gäste gelotst wurde. Rowena war, als habe die Auseinandersetzung eine ganze Ewigkeit gedauert, bis sie hörte, dass nach wie vor derselbe Song aus den Lautsprechern drang. Mehr als ein oder zwei Minuten waren nicht vergangen. Mit vor Erregung wogender Brust sah sie zu ihrer langjährigen Freundin hinüber, deren erstarrte, zornerfüllte Züge wie aus einem Marmorblock gemeißelt wirkten, sodass Pennys Gesicht regelrecht hässlich verzerrt erschien.
„Bringt sie bitte ins Büro”, sagte Rowena halblaut. „Ich komme sofort. Dann können wir die Sache unter uns regeln.”
Die beiden Männer nahmen Penny, die um ein Haar erneut auf Rowena losgegangen wäre, in die Mitte und zerrten sie mit Gewalt durch den Flur. Rowena sah dem Trio nach, bis es verschwunden war, zwang sich dann zu einem Lächeln und straffte sich, da sie sich regelrecht zusammengekrümmt hatte vor Scham, weil so viele Gäste Zeugen der Irrsinnsszene geworden waren. „Bitte entschuldigen Sie den Zwischenfall”, bat sie die Gäste mit einer Stimme, die ihr völlig fremd vorkam. „Ein bedauerliches Missverständnis.”
Benommen wandte sie sich um und schob sich, nur mit Mühe die Beine bewegend, auf das Büro zu. Sie hatte das Gefühl, als hätten sich ihre Oberschenkel von den Hüftgelenken gelöst, und bei jedem schmerzhaften Schritt meldete ihr Körper lautstark Protest an. In Wange und Oberarmen pulsierte es, so wie bei Zahnschmerzen. Hinter ihrem Rücken brach eine vielstimmige Diskussion an, weil zahllose erstaunte Gäste nun offenbar gleichzeitig spekulierten, was geschehen sein mochte. Mein Gott, was für eine Blamage! Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Mühsam hielt sie die Tränen zurück und hätte sich am liebsten irgendwo in einer dunklen Ecke verkrochen, wo sie sich ungestört ihren Schmerzen hingeben und weinen konnte. Aber das war nicht möglich.
Rowena öffnete die Bürotür und sah sich einem hitzigen Schlagabtausch gegenüber.
„Hast du ’n Rad ab?” fuhr Kip gerade seine Mutter an. „Wie kommst du dazu?”
„Du tust gefälligst, was ich dir sage!” konterte Penny, wenn auch nicht mehr mit derselben Intensität, die sie zuvor an den Tag gelegt hatte.
„Sie können nicht einfach Theater machen, wo und wann es Ihnen gerade passt!” verkündete Ian mit kalter Verachtung in der Stimme.
„Scheren Sie sich um Ihren eigenen Kram!” giftete Penny ihn an. „Das hier geht Sie überhaupt nichts an! Kip, du kommst jetzt sofort mit mir nach Hause!”
„Auf keinen Fall! Und ich muss mir schwer überlegen, ob ich überhaupt noch mit dir unter einem Dach wohnen will!”
„Kip”, sagte Rowena leise von der Tür her. „Geh bitte an deine Arbeit. Wir sprechen uns später. Zuerst muss ich einiges mit deiner Mutter klären.”
„Mann!” entfuhr es ihm gequält. „Was ist das hier für ’n Mist!”
„Ich hab dich gewarnt!” Penny hatte die Fäuste erhoben und war schon wieder drauf und dran, sich auf Rowena zu stürzen, wurde aber von Ian, der sich ihr in den Weg stellte, gestoppt.
„Ich an Ihrer Stelle würde hübsch sitzen bleiben. Tun Sie’s nicht, lasse ich Sie von der Polizei abholen, egal, ob Rowena das recht ist oder nicht. Und eine Anzeige gibt’s obendrein!”
Offenbar hätte es Penny durchaus auch mit ihm aufgenommen, doch in seinem Blick musste wohl etwas liegen, das sie vorsichtiger stimmte. Sie ließ die Arme sinken und ging auf den Stuhl zu, ohne sich zu setzen.
„Los, Kip”, mahnte Rowena. „Wir haben viel Betrieb!”
Kips Blick wanderte von ihr zu seiner Mutter.
„Hopp, hopp, mein Junge”, befahl Ian energisch und verlieh damit Rowenas Autorität Nachdruck.
Widerwillig öffnete Kip die Tür und ging.
Den Blick auf Penny gerichtet, sagte Rowena: „Ian, würden Sie uns bitte zwei Brandy bringen?”
„Selbstverständlich”, erwiderte er, ohne Penny aus den Augen zu lassen, und entfernte sich dann, um der Aufforderung nachzukommen.
Erschöpft, immer noch leicht benommen und von einer eiskalten Wut gepackt, ließ Rowena sich hinter dem Schreibtisch auf den Stuhl sinken. „Setz dich!” befahl sie scharf. Zu
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