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Abschied in Dunkelblau

Abschied in Dunkelblau

Titel: Abschied in Dunkelblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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ihre blutleeren Lippen zusammen. Ich streifte ihr die Sandalen von den Füßen und deckte sie zu. Ich zog die Rollos herunter und verdunkelte das Zimmer, während mir ihre hilflosen Augen folgten. Ich holte einen Hocker, stellte ihn neben das Bett, setzte mich, nahm ihre lange, zierliche, kalte Hand und sagte: »Ich habe das ernst gemeint. Wie heißen Sie?«
    »Lois.«
    »Also gut, Lois. Weinen Sie. Weinen Sie, was das Zeug hält. Lassen Sie den Tränen freien Lauf, lassen Sie sich ganz gehen.«
    »Ich kann nicht«, flüsterte sie. Und plötzlich fing sie wieder an zu weinen. Sie riß ihren Arm los, drehte sich um, grub ihr Gesicht in das Kopfkissen und fing an, heftig zu schluchzen.
    Ich mußte raten, was in ihrem Fall richtig oder falsch war. Ich mußte Risiken eingehen. Ich berechnete das Risiko auf der Grundlage dessen, was ich über Einsamkeit wußte, über das Bedürfnis von Nähe. Ich streichelte sie, völlig unbeteiligt, wie man ein verschrecktes Tier besänftigt. Zuerst schreckte sie hoch und bäumte sich bei der leisesten Berührung auf. Nach einer Weile verspürte ich nur ein schwaches Zittern, wenn ich sie berührte, und schließlich war auch das verschwunden. Sie schluckte und fiel endlich, zusammengerollt und entkräftet, in tiefen Schlaf.
    Ich durchsuchte das Haus, bis ich ihre Schlüssel fand. Ich schloß ab und ließ sie in dem verdunkelten Zimmer zurück. Dann schaute ich die Busfahrpläne durch, holte Cathy und brachte sie an die Bushaltestelle, von der aus sie rechtzeitig nach Hause kommen würde. Ich erzählte ihr ein bißchen. Es war überhaupt keine Frage für sie, daß ich verpflichtet war, zu bleiben.

Cinco
    Der Arzt hieß Ramirez, sah aber aus wie ein Schwede. Er blieb lange bei ihr. Dann kam er heraus und setzte sich an die Frühstückstheke, um etwas von dem schlechten Kaffee zu trinken, den ich gebraut hatte.
    »Wie geht es ihr?«
    »Wie passen Sie in das Ganze, Mr. McGee?«
    »Ich bin nur vorbeigekommen, um ihr ein paar Fragen zu stellen, da ist sie zusammengebrochen.«
    Er rührte seinen Kaffee um. »Ein Samariter, wie?«
    »Schon möglich.«
    »Ihre Familie sollte benachrichtigt werden.«
    »Angenommen, es gibt keine?«
    »Dann sollte sie in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Wie sieht ihre finanzielle Lage aus?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Hübsches Haus. Flottes Auto.«
    »Doktor, in welchem Zustand befindet sie sich?«
    »Dazu ist Verschiedenes zu sagen. Unterernährung. Das plus ein Alkoholspiegel, der so hoch ist, daß sie sich eingebildet hat, Stimmen zu hören. Aber die Ursache für diese beiden Symptome ist ein schwerer, emotionaler Schock.«
    »Prognose?«
    »Nicht schlecht. Ein kleines bißchen Stehvermögen, ein winziges bißchen Stolz ist alles, was ihr noch geblieben ist. Geben Sie ihr Beruhigungsmittel. Päppeln Sie sie wieder auf mit so reichhaltigen Nahrungsmitteln, wie sie verträgt. Jede Menge Schlaf. Und halten Sie sie von der Person fern, die sie in diesen Zustand versetzt hat.«
    »Könnte ein Mann einer Frau das antun?«
    »Wenn man einen bestimmten Männertyp und diese Sorte Frau nimmt, ja. Ein Mann wie der Mann, der bei ihr gewohnt hat.« »Haben Sie ihn gekannt?«
    »Nein, ich habe von ihm gehört. Zuerst ist er mit Catherine Kerr zusammengewesen, dann mit ihr hier. Ganz andere gesellschaftliche Ebene, wie?«
    »Sollte sie über Allen reden?«
    »Falls sie dazu bereit ist. Falls sie genügend Vertrauen zu jemandem hat, könnte das gut für sie sein.«
    »Ich würde gerne wissen, was passiert ist.«
    »Dinge, die sie nicht akzeptieren konnte. Dinge, mit denen sie nicht leben konnte.«
    »Mit denen sie nicht leben konnte?«
    »McGee, ich glaube es ist nicht übertrieben dramatisch zu behaupten, daß Sie ihr das Leben gerettet haben.«
    »Aber es könnte sein, daß sie mir nicht vertraut.«
    »Oder jemals wieder einem anderen. Auch das ist eine psychische Störung. Ich glaube nicht, daß es gut für sie ist, hierzubleiben.«
    »Wann kann sie weg?«
    »Ich werde morgen um dieselbe Zeit vorbeikommen. Dann kann ich Ihnen das sagen. Geben Sie ihr eine von diesen alle vier Stunden. Können Sie über Nacht bleiben?«
    »Ja.«
    »Eierflip, starke Suppen, immer ein bißchen, so viel, wie sie bei sich behalten kann. Wenn sie sich sehr aufregt, geben Sie ihr eine von denen. Ermutigen Sie sie dazu zu schlafen. Und zu reden. Morgen müssen wir uns dann über eine Krankenschwester unterhalten. Ich glaube, sie ist körperlich mißhandelt worden, aber ich denke, sie hat

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