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Abschied in Dunkelblau

Abschied in Dunkelblau

Titel: Abschied in Dunkelblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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zu beißen. Ich schaffte sie wieder ins Bett, und als sie aufhörte, gegen mich anzukämpfen, brachte ich sie dazu, eine von den anderen Tabletten hinunterzuschlucken. Die zeigte bald Wirkung. Ich machte das Licht aus und setzte mich zu ihr. Sie hielt mein Handgelenk ganz fest und wehrte sich gegen die Wirkung der Tablette. Immer wieder war sie gerade dabei, in Tiefschlaf zu versinken, kämpfte sich aber ins Halbbewußtsein zurück. Das meiste von ihrem Gemurmel verstand ich gar nicht. Manchmal schien sie mit mir zu reden, ein anderes Mal schien sie sich in der unmittelbaren Vergangenheit zu befinden.
    Einmal sagte sie mit großer Klarheit, reifer Stimme und voller Entrüstung: »Das werde ich nicht tun!« Wenige Augenblicke später wiederholte sie das, diesmal aber mit der piepsigen, lispelnden Stimme eines verängstigten Kindes: »Oh, das werde ich nicht tun!« Der Unterschied brach mir beinahe das Herz.
    Am Morgen war sie ganz vernünftig und sogar ein bißchen hungrig. Sie aß Rühreier mit Butter und Sahne und eine Scheibe Toast. Sie legte sich ein Weilchen hin, und danach wollte sie reden.
    »Die Sache hat eigentlich ganz dumm angefangen« sagte sie. »Wenn man das ganze Jahr über hier lebt, wie man, daß die Einheimischen einen mögen. Man versucht freundlich zu sein. Schließlich ist das nur eine kleine Gemeinde. Er war an der Tankstelle. Und schrecklich fröhlich und aufmerksam, und ein kleines bißchen frech. Wenn ich ihm gleich am Anfang Einhalt geboten hätte ... aber ich stelle mich bei solchen Dingen nicht sehr geschickt an. Ich nehme an, ich bin immer schon schüchtern gewesen. Ich mag mich auch nicht beschweren. Bei Leuten, die selbstsicher auftreten, weiß ich gar nicht, wie ich die Situation meistern soll, wenn sich eine ergibt. Es waren einfach Sachen, die er gesagt hat, und wie er mich angesehen hat, und dann hatte ich einmal an der Tankstelle das Verdeck unten, er stand auf der Fahrerseite und legte mir die Han auf die Schulter. Niemand konnte sehen, was er tat. Er legt einfach seine Hand dahin, und ich bat ihn, das bitte nicht zu tun, da lachte er und nahm seine Hand weg. Danach ist er noch aufdringlicher geworden. Aber ich hatte niemandem davon erzählt und beschloß einfach, nicht mehr dort zu tanken, was ich dann auch gemacht habe. Dann war ich eines Tages auf dem Markt, und als ich zurückkam, saß er in meinem Wagen und fragte mich höflich, ob ich ihn an der Tankstelle absetzen könnte. Natürlich, sagte ich. Ich hatte damit gerechnet, daß er etwas tut, ich wußte nicht was. Und falls er etwas unternehmen würde, wollte ich den Wagen anhalten und ihm befehlen auszusteigen. Schließlich war es hellichter Tag. In dem Moment, in dem ich eingestiegen war und den Wagen anlassen wollte, langte er einfach herüber und schob mir die Hand zwischen die Beine. Und grinste mich dabei an. Es war so etwas - so etwas Undenkbares, Trav, so schrecklich und unerwartet, daß ich wie gelähmt war. Ich dachte, ich würde in Ohnmacht fallen. Leute sind an uns vorbeigegangen, aber sie konnten nichts sehen. Ich konnte mich nicht bewegen und nicht sprechen oder mich darauf besinnen, was ich tun sollte. Wenn Menschen wie ich reagieren, reagieren sie vermutlich zu heftig. Ich schubste ihn weg und schrie ihn an und befahl ihm auszusteigen. Er nahm sich mit dem Aussteigen Zeit und hörte nie auf zu lächeln. Dann beugte er sich in das Auto und sagte etwas wie, daß ich ihn besser behandeln würde, wenn er reich wäre. Ich habe ihm gesagt, so viel Geld gäbe es gar nicht auf der Welt. Wissen Sie, dieses lockige, weiße Haar, das braungebrannte Gesicht und diese kleinen blauen Augen haben etwas Ekelhaftes an sich. Er sagte, wenn er sein Glück gemacht hätte, würde er wiederkommen und dann ja sehen, wie ich darauf reagiere, oder so ähnlich, irgendeine Bemerkung dieser Art.«
    Die richtige zeitliche Abfolge dieses Teilstücks ihrer Erzählung stellte die Ausnahme dar. Für den Rest brachte sie nicht genügend Disziplin auf, und ihre Schilderung der Ereignisse wurde eher willkürlich. Aber sie hatte einen klaren Verstand und Einsichtsvermögen. Einmal, als sie schläfrig wurde, sah sie mich nüchtern an und meinte: »Ich denke, es gibt eine Menge Menschen wie mich. Wir reagieren zu schnell oder zu spät oder überhaupt nicht. Wir sind übernervös und scheinen nicht hierher zu gehören. Wir sind Opfer, mag sein. Die Junior Allens dieser Welt sind sich ihrer selbst und ihrer Opfer so sicher. Sie wissen, wie sie uns

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