Abschied in Dunkelblau
Allen reden.«
Ich hätte ungefähr fünfzig mögliche Reaktionen aufzählen können, ohne auch nur annähernd auf die zu kommen, die ich erzielte. Ihre Augen wurden matt, ihre schmalen Nasenflügel weiteten sich, es schien ihr übel zu werden. Sie verlor die Haltung und stand ganz häßlich da. »Das war’s dann wohl«, sagte sie in schleppendem Tonfall. »Also darum geht’s. Bin ich ein Geschenk? Oder hat es Gebühren gekostet?« Sie drehte sich schnell um und eilte davon. Sie schlitterte und fiel beinahe hin, als sie am Ende der Eingangshalle links abbog. Ich hörte eine Tür zuknallen. Ich stand da in der Stille. Dann vernahm ich gedämpftes Würgen, dünn und weit weg und qualvoll. Die Mittagssonne knallte auf das Weiß herunter. Ich trat in das verhältnismäßig dunkle Haus, in den kühlen Luftzug der Klimaanlage. Ich schloß die Eingangstür.
Sie übergab sich immer noch. Ich ging schnell und leise durch das Haus. Es war genauso unordentlich wie Christines Haus, aber es herrschte eine andere Art von Unordnung. Gläser, schmutzige Aschenbecher, unberührte Speisen, Kleider, gewaltsam zerbrochene Dinge. Aber diesem kalten Haus konnte man keinen Stempel aufsetzen. Mit einem Feuerwehrschlauch hätte man das Haus in dreißig Sekunden tropfnaß und völlig sauber. Es war niemand sonst da. Sie lebte in diesem großen Haus wie ein krankes, gebrechliches Tier in einer Höhle.
Ich konnte Wasser fließen hören. Ich klopfte an die geschlossene Tür.
»Sind Sie in Ordnung?«
Ich vernahm ein Gemurmel, das ich nicht deuten konnte. Es klang vage nach Bestätigung. Ich wanderte herum. Das Haus war mir zuwider. In der Küche gab es einen riesigen Geschirrspüler. Ich fand ein großes Tablett, ging durch das Haus und sammelte die Gläser, Teller und Tassen ein. Drei Rundgänge waren dafür nötig. Ich kratzte die abgestandenen Speisereste in den Mülleimer. Hausfrau McGee. Danach setzte ich den Geschirrspüler in Gang und fühlte mich ein bißchen wohler.
Ich ging zurück und lauschte an der Tür. Nichts zu hören.
»Alles in Ordnung da drin?«
Die Tür ging auf, sie kam heraus und lehnte sich gegen die Wand gleich neben der Badezimmertür. Sie war gespenstisch blaß, und die Ringe unter ihren Augen sahen verschmiert aus.
»Ziehen Sie hier ein?« fragte sie mit tonloser Stimme.
»Ich bin nur hergekommen, um ...«
»Heute morgen habe ich mich angeschaut und gedacht, vielleicht muß der Reinigungsprozeß ja irgendwo anfangen, also habe ich mich schrecklich gründlich sauber gemacht. Ich habe meine Haare gewaschen und mich geschrubbt und geschrubbt, dann habe ich die Betten abgezogen und sogar eine Schublade mit frischer Bettwäsche gefunden, welch Wunder. Also haben Sie Glück, nicht wahr? Ausgezeichnetes Zeitgefühl, falls Sie unter sauberen Bedingungen anfangen wollen.«
»Mrs. Atkinson, ich glaube, Sie ...«
Sie schaute mich mit einer schrecklichen Parodie von Verführungskunst an, mit einem abstoßend aufgesetzten, lüsternen Seitenblick. »Ich nehme an, Sie kennen alle meine Spezialitäten, mein Lieber?«
»Hören Sie mir endlich zu!«
»Ich bin sicher, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich vorher etwas trinke, ich bin wirklich viel besser, wenn ich ein paar getrunken habe.«
»Ich habe Junior Allen noch nie in meinem Leben gesehen.«
»Ich hoffe, er hat Ihnen erzählt, daß ich fürchterlich schmuddelig geworden bin und ...« Sie beendete plötzlich die abscheuliche Parodie einer Verführung und starrte mich an. »Was haben Sie gesagt?«
»Ich habe Junior Allen noch nie im Leben gesehen.«
Sie fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Warum sind Sie dann zu mir gekommen?«
»Ich möchte Ihnen helfen.«
»Wobei?«
»Sie haben es selbst gesagt. Der Reinigungsprozeß muß irgendwo anfangen.«
Sie starrte mich zunächst verständnislos an, dann wild zweifelnd und schließlich, ganz allmählich, glaubte sie mir. Sie drehte sich um, sank in sich zusammen, und bevor ich sie auffangen konnte, fiel sie hin, und ihre bloßen Knie machten ein schmerzhaftes Geräusch auf den Keramikplatten. Sie kauerte sich an die Bodenleiste, rieb ihr Gesicht daran hin und her und begann zu heulen, jaulen, schluchzen und zu husten. Ich hob sie auf. Sie schauderte heftig, als ich sie berührte. Sie war viel zu leicht. Ich trug sie ins Schlafzimmer. Als ich sie auf ihr frisch gemachtes Bett legte, hörte das Schluchzen unvermittelt auf. Sie wurde stocksteif, starrte mich aus glasigen, weit aufgerissenen Augen an und preßte
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