Abschied nehmen
Entsetzen in ihren Augen angesichts der Waffe, die er gegen sie richtete.
„Himmel, Marsaili!“, sagte er leicht verärgert und schob den Dolch wieder in seine Socke. „Dass ihr Frauen euch immer so anschleichen müsst!“, fügte er hinzu und dachte an die Begegnung mit Kate zurück, als er sie unten am Bach auch für einen Feind gehalten und sie mit demselben Dolch bedroht hatte. „Was willst du zu so später Stunde denn noch hier?“
„Ich bin dir, ich meine euch, gefolgt“, sagte sie und trat nun, da er die Waffe weggesteckt hatte, näher an ihn heran.
William sah, wie ihre Lippen bebten.
„Aber warum tust du so etwas?“, fragte er unverständlich und sah sie mit gerunzelter Stirn an.
„Nun ja, ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast“, erwiderte sie und senkte ihren schüchternen Blick.
„Ach, und was soll das gewesen sein?“ Langsam wurde William ungeduldig.
„Du sagtest, dass du Kate nicht betrügen willst, doch das wäre erst morgen der Fall. Heute seid ihr noch nicht verheiratet und wir hätten noch einige Stunden für uns.
Ich würde dich glücklich machen, William, auch wenn es nur für diese kurze Zeit wäre. Und du würdest mir damit etwas geben, das mich immer an dich erinnert!“, sprach sie leidenschaftlich und rückte immer näher an ihn heran.
William war wieder einmal erstaunt über ihr Verhalten. Sie bot sich ihm so überaus offensichtlich an, dabei hatte er sie doch als ein so schüchternes Mädchen kennengelernt. Immerhin war sie bei ihrer ersten Begegnung nicht einmal fähig gewesen, ein Gespräch mit ihm zu beginnen und nun hätte er auch ohne die gesprochenen Worte erkannt, was sie von ihm wollte.
Als er nun ihren jungen Körper an seinem spürte, weckte sie jedoch nicht die von ihr gewünschte Reaktion. Alles, was ihn überkam, war eine Woge des Mitgefühls und er wurde zornig auf sich selbst. Warum hatte er sie geküsst und sie damit eigentlich noch weiter ermuntert? Vielleicht hätte sie ihn schon längst vergessen ohne diesen Vorfall oder wenn er zumindest Manns genug gewesen wäre, sie sofort danach über seine Gefühlslage aufzuklären.
Doch es war müßig darüber nachzudenken, er konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Und so nahm er sie sanft bei den Schultern und beugte sich mit einem reumütigen Lächeln über sie.
„Marsaili, das kann ich leider auch nicht tun“, flüsterte er, und als sie traurig ihren Kopf senkte, legte er seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie dazu, ihm wieder in die Augen zu sehen. „Wir sind zwar noch nicht vermählt aber ich habe ihr ein Versprechen gegeben, das ich halten muss!“, fügte er mit Nachdruck hinzu und wischte die Träne fort, die über ihre Wange kullerte. „Wie würdest du reagieren, wenn du erfahren würdest, dass dein Bräutigam dich am Abend vor deiner Hochzeit betrogen hat?“
„Ich würde ihm einen Dolch ins Herz jagen“, erwiderte sie ohne Härte oder Verbitterung in der Stimme, nur mit einer traurigen Einsicht.
„So ist es und ich möchte mein Herz morgen nicht aufgespießt sehen. Du etwa?“
Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, William.“
„Mir ebenso, Marsaili“, sagte er sanft und sah die Röte in ihr Gesicht steigen.
Ihr Verhalten war ihr mit einem Mal so furchtbar peinlich und sie nickte mit einem verlegenen Lächeln. Dann hatte sie es plötzlich ganz eilig sich zu verabschieden und ohne ihn noch einmal anzusehen, lief sie davon und ließ William mit seinen Gewissensbissen zurück.
Kate schloss ihre Tür wieder genauso leise, wie sie sie geöffnet hatte. Als sie sich nun dagegen lehnte, war sie so erschüttert, dass es sich in ihrem Kopf drehte. Das, was sie eben beobachtet hatte, versetzte ihr einen schmerzhaften Stich nach dem anderen und doch war sie unfähig, es aus ihrem Kopf zu verdrängen.
Sie sah den wehmütigen Blick noch immer vor sich, mit dem er Marsaili ansah, während er ihr Gesicht so vertraut in seiner Hand hielt. Und auch wenn sie die Szene nicht hatte weiter mit ansehen können, aus Angst in hysterisches Geschrei auszubrechen, konnte sie sich genau ausmalen, wie sie weiterging.
Nun stand sie da, schwer atmend und wischte hastig die beiden Tränen fort, die ihre Wangen hinunterkullerten, während sie angespannt an ihrem Ärmel herumfingerte. Wer weit hinauf
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