Abschied nehmen
keine letzten Erinnerungen und auch keine mit unterdrückter Sorge ausgesprochenen Zusprüche wie: „Du wirst das schon meistern.“ Marcus schien diesbezüglich keinerlei Bedenken zu hegen und ihm voll und ganz zu vertrauen und Williams erstaunte Miene verwandelte sich in ein dankbares und zufriedenes Lächeln.
Schlussendlich wandte sich Marcus Lilidh zu und lediglich für sie nahm er sich mehr Zeit. Sie flüsterten einander liebevolle Abschiedsworte zu, während Marcus seine Frau an sich drückte.
„Pass auf dich auf“, sagte sie schließlich, als er sich von ihr gelöst hatte. „Ihr alle!“, wandte sie sich auch an seine Männer und Kate entdeckte die altbekannte Sorge in den Augen ihrer Mutter.
So war es jedes Mal, wenn ihr Vater die Burg ohne sie verließ. Jede Sekunde seiner Abwesenheit sorgte sie sich um ihn, und erst wenn sie ihn unversehrt wieder in die Arme schließen konnte und sich vergewissert hatte, dass noch alles an ihm dran war, wich ihre Sorge. Schließlich lauerten so viele Gefahren außerhalb der schützenden Burgmauern und Lilidh konnte nicht umhin, sich jede einzelne davon in aller Deutlichkeit auszumalen.
Kate drückte wortlos Williams Hand und er erwiderte den Druck mit einem zärtlichen Lächeln.
„Uns wird nichts passieren und eh du dich versiehst, sind wir wieder da“, erwiderte Marcus in einem aufmunternden Ton, auch wenn er wusste, dass dies nicht stimmte. Für ihn selbst und seine Männer würden die drei Wochen wie immer wie im Fluge vergehen. Sie würden unterwegs sein und täglich neue Dinge erleben, doch die Zeit des Wartens, die Lilidh bevorstand, würde weitaus langsamer verstreichen.
Trotzdem nickte Lilidh mit einem bemüht heiteren Lächeln. Sie wollte ihren Mann nicht mit ihrer Sorge belasten. Dann schwang der sich auf den Rücken seines Pferdes und William sah seine Freunde ohne ihn vom Hof reiten.
Nach dem Aufbruch der Männer löste sich die Menge recht schnell auf. Jeder kehrte an seine Arbeit zurück und auch William begab sich an die seine. Er zog sich in Marcus’ Arbeitszimmer zurück, um den lästigen Papierkram zu erledigen und die Aufgaben, die ihm auferlegt worden waren, zu planen.
Er verbrachte den ganzen Vormittag damit und als er sich schließlich von dem großen Schreibtisch, hinter dem er Marcus bereits so oft hatte sitzen sehen, erhob, überkam ihn plötzlich ein eigenartiges Gefühl. Irgendetwas war nicht, wie es sein sollte, dachte er und hielt inne, während er überlegte, was es war.
Er blickte sich argwöhnisch in dem Raum um, doch hier war alles wie immer. Auch war ihm nicht bewusst, dass er heute irgendetwas gelesen oder gehört hatte, das ihm merkwürdig vorgekommen wäre. Doch das Gefühl, das er, wie ihm inzwischen klar wurde, bereits die ganze Zeit unterschwellig verspürt hatte, wollte nicht weichen. Letztendlich schrieb er es der Tatsache zu, dass er hier allein in Marcus Gemach saß und dessen Aufgaben erledigte, was schon ungewöhnlich genug war. Eine andere Erklärung fiel ihm dafür nicht ein.
Erst als er in den Hof hinaustrat, berichtigte er seine Annahme, denn dort fand er die überaus deutliche Antwort auf seine Frage. Er blieb in der Tür stehen und sah mit einem Lächeln zu Kate hinüber, die im Hof stand und sich mit Duncan, dem Stallmeister unterhielt. Als Duncan William erblickte, grüßte er mit einem unbehaglichen Lächeln, verabschiedete sich hastig von Kate und eilte davon in Richtung Stall.
Kate blieb stehen und wartete auf William, und als sie ihn ein wenig zu überschwänglich begrüßte, bestätigte sich sein Verdacht. Doch er behielt ihn für sich, unterdrückte ein Grinsen und wandte sich ganz beiläufig an seine Frau.
„Was hat Duncan gewollt?“
Kate hatte mit dieser Frage gerechnet, doch so sehr sie sich angestrengt hatte, war ihr noch immer keine passende Lüge eingefallen.
„Was Duncan gewollt hat, willst du wissen?“, fragte sie also, statt zu antworten.
„Aye, genau das will ich.“
„Was Duncan wollte, war …“ Sie hielt inne, fieberhaft nach einer Ausrede suchend. „Er hat nach meiner Mutter gesucht, es ging um eine Medizin, die er braucht!“, fuhr sie enthusiastisch fort, als sie sie endlich fand.
William setzte eine besorgte Miene auf.
„Ach, was fehlt ihm denn?“
„Verdauungsprobleme.“
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