Abschied nehmen
würde und dass ihnen klar war, wie viel sie ihm bedeuteten.
„Ich liebe dich wie einen Bruder, William“, presste Jamie schließlich hervor, und nachdem er den Anfang gemacht hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihm hervor. „Ich werde dich nicht nur auf meiner Hochzeit vermissen, sondern jeden Tag meines Lebens. Ich hätte gerne gesehen, wie auch du heiratest und wie irgendwann unsere Kinder gemeinsam spielen und es bricht mir das Herz, dass das nicht möglich ist. Ich hoffe inständig, dass wir uns irgendwann wiedersehen können und ich wünsche dir trotz der misslichen Umstände, mit denen es beginnt, ein schönes neues Leben.“
Sie drückten einander noch einmal so fest, dass ihnen beinahe die Luft wegblieb, und ließen dann voneinander ab. Während Jamie vor die Box trat, um tief durchzuatmen und damit seinen sich drehenden Magen unter Kontrolle zu bringen, ging William in die Hocke und wandte sich an seine Schwester.
„Amy, meine Kleine. Komm zu mir.“
Er streckte ihr die Arme entgegen und das Mädchen folgte der Aufforderung.
„William, wirst du uns wieder verlassen?“ Amys trauriger Gesichtsausdruck brach William das Herz, und als zwei dicke Tränen über ihre Wangen kullerten, packte er sie und drückte sie ganz fest an sich.
„Warum gehst du wieder weg, William?“, weinte das Mädchen und William hatte alle Mühe sich zu beherrschen.
„Ich muss gehen, meine Kleine“, presste er hervor. „Ich habe Menschen geholfen und das hat anderen Menschen nicht gefallen und die suchen mich nun und wollen mich dafür bestrafen.“
„Aber ich will nicht, dass du gehst. Ich hab dich doch so lieb“, schluchzte sie vor sich hin. „Ich weiß, meine Kleine, ich dich auch.“ William drückte ihr einen Kuss auf die tränenüberströmte Wange und Amy verstärkte ihre Umarmung.
„Komm, Prinzessin.“ Jamie nahm ein Ärmchen nach dem anderen und löste es von William. Amy küsste ihren Bruder noch einmal und ließ sich dann von Jamie trösten.
„Bitte sorg dafür, dass sie mich nicht vergisst“, flehte William in den Armen seines Vaters und konnte die Tränen nun doch nicht mehr zurückhalten. Er wischte sie schnell fort, denn er wusste, dass sein Vater ihn nicht gerne weinen sah. Doch plötzlich merkte er, wie George innerlich bebte. Zuerst dachte er, er wäre es gewesen, doch schnell stellte er fest, dass er sich getäuscht hatte. Sein Vater war es, der den Verlust seines Sohnes innerlich beweinte, denn aus den zusammengekniffenen Augen drangen keine Tränen.
„Ich liebe dich, Vater. Bitte weine und sorge dich nicht um mich, mir wird es gut gehen, auch wenn ich euch unglaublich vermissen werde. Meine Gedanken werden stets bei euch sein.“
William hatte seinen Vater seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr so traurig gesehen und es brach ihm erneut das Herz.
„Ich liebe dich auch, mein Sohn. Ich hoffe nur, dass die Menschen, die dich bei sich aufnehmen, dir eine Familie sein werden, wie wir es waren. Wir werden auch immer an dich denken und dich nie vergessen.“
George küsste seinen Sohn und drückte ihn noch ein letztes Mal fest an sich. Anschließend schwang William sich auf seinen Hengst und sie folgten ihm zum Stallausgang. Amy hatte ihr Gesicht an Jamies Schulter gelegt und weinte bitterlich. William hoch zu Ross sitzend sah auf seine Familie herunter. Die Dämmerung würde bald einsetzen, dachte er, als er den Sonnenstand betrachtete.
Er fühlte sich wie betäubt, als er so bewegungslos dasaß und sein Atem in kleinen weißen Wolken vor seinem Gesicht aufstieg. Er sah in drei Gesichter, die er wahrscheinlich nie wieder sehen würde und deren Augen nun voller Tränen waren.
Doch das näher kommende Hufgetrampel rüttelte ihn plötzlich wach und mit einem Mal war er wieder voll bei sich. Sein Verstand arbeitete nun wieder und er erkannte die sich nähernde Gefahr.
„Lebt Wohl, ich liebe euch!“, rief er seinen Lieben zu und ritt los. Nach ein paar Metern blieb er jedoch kurz stehen und drehte sich noch einmal um. Jimmy tänzelte unruhig auf der Stelle und bäumte sich sogar auf, denn er spürte die Nervosität seines Besitzers. So zog William es nicht unnötig in die Länge und nach diesem letzten Blick, gab er dem Hengst die Sporen und galoppierte davon.
4. Kapitel
Der immer kälter werdende Wind
Weitere Kostenlose Bücher