Abschied nehmen
geredet und gelacht und nur die Erschöpfung hatte sie dazu veranlasst, die noch unerzählten schlüpfrigen Geschichten auf einen anderen Tag zu verschieben. William hatte es nicht einmal geschafft seine Kleider abzustreifen, sondern war betrunken und angezogen einfach in sein Bett gefallen.
Zum Glück hatte Marcus am nächsten Tag einen Ruhetag verhängt, sodass, nachdem die absolut notwendigen Arbeiten erledigt waren, sich alle, auch diejenigen, die nicht auf den Feldern gearbeitet, sondern die zusätzlichen Arbeiten in der Burg übernommen hatten, ausruhen konnten.
William selbst hatte lange ausgeschlafen und saß nun vor dem Pferdestall und ließ sich die von Tag zu Tag wärmer werdende Frühlingssonne ins Gesicht scheinen. Er hatte die Augen geschlossen und bemerkte den Ankömmling erst, als dieser ihn ansprach.
„Wie heißt du?“, hörte William die Kinderstimme und öffnete die Augen.
Vor ihm stand Willie und blickte ihn etwas verschüchtert aus seinen blauen Augen an. Seit ihrer Begegnung vor nun beinahe zwei Wochen hatte William den Kleinen lediglich aus einer gewissen Entfernung zu Gesicht bekommen. Die meiste Zeit hatte er natürlich auf den Feldern verbracht, aber wenn er sich abends in der Burg aufgehalten hatte, hatte er Willie nicht nur einmal dabei ertappt, wie er ihn aus einer sicheren Distanz beobachtete.
Er hatte vermutlich diesen Augenblick ausgewählt, um ihn anzusprechen, weil er William nun ausnahmsweise allein antraf.
„Ich heiße William. Und wie ist dein Name?“ William wusste, wie der Junge hieß aber er fragte trotzdem, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen.
„Ich heiße auch William. Aber ich werde Willie gerufen“, erwiderte der Kleine mit einem erstaunten Lächeln.
„Dann sind wir ja Namensvetter. Welch ein Zufall!“, erklärte William nun auch lächelnd und reichte dem Jungen die Hand.
Als Willie die seine jedoch hinter dem Rücken hervorholte, war sie nicht leer. Es befand sich eine von Mrs. Jenkins köstlichen Fleischpasteten darin.
William sah sein Gegenüber belustigt an, und als dieser auch die andere Hand zeigte, in der sich ein Stück Brot befand, lachte er los. Willie stand da mit seinen vollen Händen und kicherte ebenfalls vor sich hin. Seine kleinen Schultern bebten und er runzelte dabei seine mit Sommersprossen übersäte Nase.
Also entweder war dieser Junge ein Kleptomane oder er war andauernd hungrig, dachte William.
„Wenn du mit mir teilst, dann verrate ich dich nicht.“ Ein verschwörerischer Ton klang in Williams Stimme mit, als er endlich aufgehört hatte zu lachen. Daraufhin hockte Willie sich hin und hielt dem Älteren seine Mitbringsel hin.
„Willie!“, ertönte es mit einem Mal aus der Küche und der Junge zuckte zusammen.
„Oh, oh, sie hat mich wieder erwischt.“ Willie sah sich nervös an seinem Nagel kauend um.
So häufig, wie er in diese Situation kam, durfte er eigentlich gar keine Nägel mehr haben, dachte William amüsiert und beschloss dem Kleinen aus der Patsche zu helfen.
„Schnell! In den Stall!“, raunte er ihm zu, nahm das Essen an sich und im letzten Moment, bevor Mrs. Jenkins hinaustrat, verschwanden sie durch den Eingang.
Ein paar Augenblicke lauschten sie noch ihrem Geschimpfe, bis dieses schließlich verstummte und die Köchin in ihr Reich zurückkehrte. Erst dann atmeten sie erleichtert auf, suchten sich in dem menschenleeren Stall ein gemütliches Plätzchen und verputzten in wenigen Minuten das Diebesgut.
Irgendwann, wenn sie einander besser kannten, würde William dem Kleinen erklären müssen, dass er nicht so weiter machen könnte, aber nun saßen sie zufrieden im Heu und unterhielten sich.
Nach der anfänglichen Schüchternheit erwies sich der Fünfjährige als äußerst gesprächig und so erfuhr William allerlei über seinen Namensvetter. Die jüngsten Ereignisse, von denen der Junge aufgeschürfte Knie davongetragen hatte, brachten sie schließlich auf Willies sieben Jahre älteren Bruder.
Kenny hatte, wie in dem Alter nicht gerade ungewöhnlich, nicht sehr viel übrig für seinen kleinen Bruder und machte diese Antipathie häufig durch Prügel deutlich, was ihn auch nicht gerade zu Willies Liebling machte. Der Kleine schimpfte noch immer wütend über den gestrigen Vorfall auf seinen Bruder, und auch wenn er sich
Weitere Kostenlose Bücher