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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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an sich riß und in seiner Brusttasche verschwinden ließ.
    »Was haben die bloß?« fragte ich, »was soll das ganze?« »Es geht um einen Waggon Lokuspapier, der irgendwo auf dem Güterbahnhof steht...«
    »Und das Papier?«
    »War der Frachtbrief. Aber sag einmal, kennst du das fette Schwein nicht, das das Rennen gemacht hat?«
    »Das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor...«
    »Mensch, es ist unser Larski.«
    »Das gibt’s doch nicht...«
    »Das gibt’s!«
    Unser Larski... Mit seinem aufgeschwemmten Gesicht und mit den fetten Hüften sah er wie ein Bierabschmecker von der Ponarther Brauerei aus und gerade so, als ob er seinen dreißigsten Geburtstag schon vor längerer Zeit gefeiert hätte.
    »Aber wart nur ab«, zischte Alfred Kleiber mir zu, »mit diesen Schiebern und mit diesem verdammten Judenpack räumen wir bald auf! Wir sind jetzt nämlich völkisch, meine Alten und ich. Deutsch völkisch!«
    »Und ich dachte, ihr wäret Guoten oder Guttempler oder so was Ähnliches, das hast du mir doch geschrieben...« »Mensch, der Pählke, der Kaiser Weißhaar, wie er sich zuletzt nannte, das war vielleicht ein Obergauner! Mann, meine Alten waren drauf und dran, ihm Mutters Schmuck und unsern letzten Notgroschen in den Rachen zu schmeißen, - bis er dann verkündete, jedem Guoten ständen vier Dutzend Weiber zu. Na, da hatte er bei meiner Mutter aber gründlich ausgeschissen...«
    »Und was seid ihr jetzt?«
    »Deutsch völkisch und nationalsozialistisch! Oder willst du etwa sagen, daß du noch nie etwas von Hitler gehört hast?«
    Ich mußte gestehen, diesen Namen noch nie gehört zu haben.
    »Mann, wo lebst du eigentlich? Auf dem Mond? Hitler, Mensch, Hitler! Merk dir den Namen, denn von dem wirst du noch allerhand zu hören bekommen!«
    Oder war der Name Hitler und etwas von dem Programm der Nationalsozialisten doch schon nach Bartenstein gedrungen? Komisch, da hatte sich ein Bursche von der Landwirtschafts-Winterschule bei uns anzuwanzen versucht, der den Namen Kohn trug, ein Junkertyp mit Breecheshosen und einem grünen aufgeschlagenen Jägerhut, der mir durch die blöde Art aufgefallen war, in der er sich hackenklappend vorstellte: »Jestatten, Kohn - kein Jude! Nationalsozialist!«
    Weder auf dem Friedrichskolleg noch auf der Bartensteiner Penne hatte es uns jemals bekümmert, was einer als Glaubensbekenntnis angab. Die Angabe >mosaisch< hörten wir bedeutend öfter als >katholisch< oder gar, daß sich einmal einer als >Dissident< bezeichnete, womit wir überhaupt nichts anzufangen wußten, aber auch nicht im geringsten neugierig waren, zu erfahren, worum es sich dabei handle. Unser Benno Schereschewski gehörte einer streng orthodoxen jüdischen Familie an. Am Sabbat konnte er nur deshalb zur Schule kommen, weil Hin- und Rückweg weniger als fünfhundert Schritt betrugen. Auch war er an diesem Tage von allen Schreibarbeiten befreit, und weil schon das Mitnehmen eines Bleistiftes in der Brusttasche gegen das mosaische Gesetz verstoßen hätte, trug ihm das christliche Dienstmädchen die Bücher in die Schule. Keinem von uns fiel es ein, sich darüber zu mokieren, und als ich den Benno eines Tages in den Schwitzkasten nahm, so geschah es nicht aus Empörung über das arme Dienstmädchen, und schon gar nicht deshalb, weil er Jude war, sondern weil er, rechts vor mir sitzend, bei einer lateinischen Klassenarbeit sein Heft so blöd mit dem Rücken abgedeckt hatte, daß ich nicht spicken konnte. Nein, es gab keinen Grund für mich, mir den Namen Hitler einprägen zu müssen, vor allem nicht, weil die Empfehlung von Alfred Kleiber kam. Bei ihm und auch bei seinen Alten saßen einige Schrauben locker, die begeisterten sich alle vier Wochen für eine neue Heilslehre. Mich störten weder die Schieber noch die Juden. Ich genoß die kurze Ferienwoche, die ich bei meiner Schwester Else und bei >Onkel< Richard verbringen durfte, in vollen Zügen. Als Weihnachtsgeschenk hatte Else mir drei Theaterkarten zugesteckt, eine für die Oper und zwei fürs Schauspielhaus. Mit der Salome konnte ich nicht allzuviel anfangen, mein Opernverständnis war unterentwickelt und ist es - mit der Ausnahme von Mozart - auch leider geblieben. Dafür erfüllten mich die beiden Aufführungen im Schauspielhaus mit wahrem Enthusiasmus. Jessner hatte die Bühne vor kurzer Zeit übernommen und verblüffte das Publikum durch eine Hamlet-Inszenierung, in der die Darsteller in ihrer alltäglichen Straßenkleidung auftraten, und durch einen Wilhelm

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