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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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schlicht unbegabt, sondern hoffnungslos vernagelt.«
    »Ist das so schlimm? Ich meine, es wäre schlimm, wenn Sie den Ehrgeiz hätten, Ingenieur oder Mathematikprofessor zu werden, aber diesen Ehrgeiz haben Sie doch nicht?«
    »Nein, ganz gewiß nicht! Aber ich habe eine Fünf im letzten Zeugnis gehabt.«
    »Ach, du lieber Gott«, sagte sie mit einem kleinen Kichern, »das kenne ich. Das hatte mein Bruder in Latein...«
    »Was Sie nicht sagen! Und hat er es trotzdem geschafft?«
    »Ich weiß nicht, ob er es geschafft hätte. Er ist im letzten Kriegsjahr gefallen.«
    »Oh«, murmelte ich bedauernd, »ist es sein Grab, das Sie hier besuchen?«
    »Nein, er liegt, wenn er überhaupt bestattet wurde, irgendwo bei Verdun.«
    »Dort ist auch mein Bruder gefallen.« Die Frage, wem Sie die Immortellen aufs Grab gelegt hatte, wagte ich nicht zum zweiten Mal zu stellen.
    »Es ist mein Mann«, sagte sie. »Er starb vor zwei Jahren an den Folgen einer Kriegsverletzung.«
    »Oh...« murmelte ich zum zweiten Mal.
    »Es war eine Erlösung«, sagte sie und vergrub die Hände in dem Muff, den sie bis dahin auf den Ärmel hinaufgeschoben hatte.
    Für ihn, für sie oder für beide? Aber das wäre wohl eine sehr unpassende Frage gewesen. Es war inzwischen dunkel geworden. Der Wind trieb uns nasse Schneeflocken entgegen. Sie schlug den Pelzkragen hoch und ging schweigend neben mir stadteinwärts. Am Anger hätte ich abbiegen müssen, aber ich zögerte - und sie bemerkte es. »Wo wohnen sie?«
    »Im Amtsgericht, gnädige Frau. Meine Eltern fanden keine passende Wohnung, als Vater sich nach Bartenstein versetzen ließ, weil er in Königsberg verhungert wäre. Die Wohnung ist nicht gerade gemütlich, vor allem für meine Mutter nicht, die sich seit dem Mord an dem Gefängnisaufseher zu Tode fürchtet. Aber sie hat es bald überstanden. Zu Ostern gehen wir nach Königsberg zurück.«
    »Darum sind Sie zu beneiden. Ich wünschte, ich könnte meine Zelte hier auch abbrechen.«
    »Und warum tun Sie es nicht?«
    »Ach, das hat verschiedene Gründe...«
    Sie wandte sich nach rechts, überquerte die Straße und schien nichts dagegen einzuwenden zu haben, daß ich sie durch das immer heftiger werdende Schneegestöber am Mühlenfließ entlang begleitete. Das letzte Gebäude, das ich kannte, war die Loge. So klein die Stadt auch war, in der ich nun fast fünf Jahre lebte, in diese Gegend hatte ich mich noch nie verirrt. Hier lag irgendwo eine Spinnerei und ein Lokal der Schützen, das nur im Sommer geöffnet war. Und bald nach der Loge gab es auch keine Laternen mehr. Nach einem Weg von etwa zehn Minuten blieb sie vor einer Gartenpforte stehen, die einen schmalen Eingang durch eine mannshohe, mauerartig gestutzte Thujahecke freigab.
    »Hier bin ich zu Hause«, sagte sie. »Es war nett, daß Sie mich begleitet haben. Nicht, daß ich mich fürchte, aber ein wenig unheimlich ist der dunkle Weg schon ..,«
    Im Flockenfall und in der Dunkelheit erkannte ich die Umrisse eines einstöckigen Hauses, in dessen oberem Geschoß ich hinter zwei Fenstern einen schwachen Lichtschimmer wahrzunehmen glaubte.
    »Wohnen Sie hier allein, gnädige Frau?«
    »Nein, ich lebe hier bei meinen Eltern. Das Haus gehört ihnen. Sie nahmen uns auf, als mein Mann aus dem Lazarett entlassen wurde. Er war Arzt, genauer: Chirurg, und hatte die Absicht gehabt, sich in Elbing niederzulassen, wo sein Vater eine Eisengießerei besitzt.«
    »Auf Wiedersehen, gnädige Frau«, sagte ich und zog meine graue Krimmermütze; und fügte in einem Anflug von Kühnheit hinzu: »Ich sage das nicht bloß so hin... Ich würde mich wirklich freuen, Ihnen wieder zu begegnen...« Die Dunkelheit, die mich nur einen Schimmer ihres Gesichtes wahrnehmen ließ, machte es mir leichter, die Hoffnung auf eine Wiederbegegnung auszusprechen.
    »Wann müssen Sie zu Hause sein?« fragte sie.
    »Da gibt es keinen strengen Stundenplan, gnädige Frau...«
    »Dann kommen Sie doch auf ein Glas Tee ins Haus. Das Wetter ist scheußlich. Wenn Sie so durchgefroren sind wie ich, wird Ihnen etwas Warmes guttun...«
    Sie öffnete die Gartenpforte und ging mir über einen kurzen Kiesweg voraus. Ich folgte ihr stumm und spürte, daß mir das Herz bis zum Halse hinauf schlug. Sie warnte mich vor zwei Stufen und zog ein Schlüsselbund aus dem Muff...
    »Ich heiße übrigens Gertrud Fleming - und mein Mädchenname ist Gerlach. Es ist keine Neugier, aber meine Eltern wären wohl ein wenig erstaunt, wenn ich ihnen meinen Kavalier als

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