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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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jetzt für Eisenwaren geworben wurde, und auf dem Friedhof zwei Grabstellen, die wie zwei Einzelbetten aussahen, nur durch einen Streifen Fingergras getrennt. Sie war schon jahrelang nicht mehr dort gewesen, und das erschien ihr falsch. Sie war auch nur selten an Henrys Grab gewesen, obwohl es nicht weit weg war. Sie würde hingehen, sobald sie zurück war, versprochen - auch zu den Gräbern ihrer Eltern, eine Wallfahrt, solange noch Zeit war. So weit schaffte es der Olds noch.
      «Was muss man angeben?», fragte Ella neben ihr.
      «Geld», sagte Kenneth, «oder Handelswaren.»
      «Alles Wertvolle», fügte Lisa hinzu.
      «Waffen?»
      «Waffen», wiederholte Ken. «Jede Art von Spitzentechnologie. Tiere, die Krankheiten haben könnten. Was noch?»
      Er fragte Emily, stimmte seine Antwort mit ihr ab, eine Gewohnheit, die er von seinem Vater übernommen hatte.
      «Ich glaube, das ist so ziemlich alles», sagte sie.
       Pflanzen und landwirtschaftliche Erzeugnisse fielen ihr noch ein, verfaultes Obst und schädliche Insekten, aber sie hatte kein Interesse daran und wandte sich wieder den Autos zu, den dahinjagenden Wolken. Sie war froh, dass es regnete. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich diesem Ort an einem sonnigen Tag zu stellen.
      Allein der Gedanke versetzte sie zurück in Henrys Chevy, das Ausstellfenster ganz aufgeklappt, um frische Luft ins stickige Wageninnere zu leiten. Es war noch immer ein herrlicher Tag, und sie waren glücklich, als wäre das Wetter, genau wie die Lieder im Radio, für sie bestimmt, wegen ihrer Liebe, der Rest der Welt nur eine Kulisse für ihre beiden beliebtesten Stars. Die Sonne machte den Tag erregend und vielversprechend, als könnten sie ewig weiterfahren und würden nur halten, um zu essen und miteinander zu schlafen. So war es ihr vorgekommen, obwohl sie bestimmt auch in einer dieser Schlangen gewartet, vor roten Lichtern gestanden und sich mit dem Gepäck herumgeärgert hatten. Sie erinnerte sich nur an das Beste, als Ausgleich für die Monate, die sie an Henrys Bett verbracht hatte, für die Erinnerungen, die sie überfielen, wenn sie durchs Wohnzimmer ging oder ihre Teetasse im Spülbecken auswusch, Erinnerungen, die sie für den Rest des Tages lähmten und missmutig machten.
      «Mom», sagte Kenneth von vorn.
      «Was ist denn?»
      «Ich hab gefragt, ob du weißt, wie der Wechselkurs ist.»
      «Ich habe keinen blassen Schimmer. Ein Dollar vierzig? Da liegt er normalerweise.»
      «Das ist nicht schlecht», sagte Lisa.
      «Alles ist teuer», widersprach Emily, «das ist der Haken. Und nicht bloß hier, sondern im ganzen Land. Wenn man nicht nachrechnet, kann man leicht reinfallen.»
      Ken sagte schließlich: «Ich glaube kaum, dass wir groß einkaufen.»
      «Muss man gar nicht. Guck bloß, wie viel das Mittagessen kostet. Du wirst überrascht sein.»
      «Die Kinder müssen was essen», sagte Lisa, als hätte Emily das Gegenteil behauptet.
      Das erinnerte Emily an Margaret als junges Mädchen, wie sie auf den kleinsten Versprecher gewartet hatte, als trügen sie einen Wettkampf aus. Sie entschied sich, Lisa zu ignorieren und aus dem Fenster zu schauen. Der Nebel in den Bäumen jenseits der Mautstelle erinnerte sie an Monet, an eine seiner Lichtstudien, die sie im Frühling im Frick Museum gezeigt hatten. Es war erst Mittag, aber es kam ihr schon wie drei oder vier Uhr vor, die Farbe des Himmels unbestimmt.
      Im Krankenhaus hatte sie beobachtet, wie sich der Abend herabsenkte, wie sich die Sonne aus den Ecken des Zimmers und dann von den matten Wänden zurückzog und nur noch das Fenster und Henrys Bett in eine whiskyfarbene Glut tauchte - das letzte Licht, bei dem sie an den Sommer und den See, das ausgedehnte Ende ihrer trägen Tage denken musste, außer im Herbst, da schien diese stille Zeit, in der eine farbige Linse vor die Sonne glitt, nur einen Augenblick zu dauern, und dann war es im Zimmer überall grau, die Wolkenkratzer in der Innenstadt kalte schwarze Schatten, die Gehsteige voller Pendler, die dicke Fensterscheibe kühl und wohltuend an ihrer Stirn. Das Abendessen kam, dampfte unter dem Deckel, der aussah wie eine Radkappe. Die Heizung klirrte. Henry hatte einen seltsamen Schlafrhythmus, döste weg und kam dann wieder zu sich, als wollte er sich testen, sich bereitmachen.
      «Du solltest nach Hause gehen», hatte er einmal nach dem Aufwachen gesagt, und sie war furchtbar wütend auf ihn

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