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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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nicht.»
      Sam und Justin klatschten sich ab.
      «Hey», sagte Tante Margaret, die sie im Rückspiegel dabei ertappt hatte. «Was hab ich gesagt? Wenn wir nicht hingehen, will ich kein Genörgel hören.»
      Er wünschte sich, Onkel Jeff wäre da. Er würde es ihnen erlauben. Jetzt musste er seinen Vater fragen, und der würde seine Mutter fragen, was wohl hieß, dass nichts draus wurde.
      Tante Arlene sagte, sie könnten den Lake Erie sehen, aber er sah bloß eine Baustelle, gelbe Planierraupen und braune Furchen in den Hängen, aufgestapelte weiße Rohre. Tante Arlene machte sie auf Apfelplantagen und Weinberge aufmerksam, als wären sie auf einem Schulausflug und müssten sich alles für eine Klassenarbeit merken.
      «Da ist der See - da», sagte Tante Arlene mit ausgestrecktem Finger.
      Es war bloß ein blauer Strich hinter der Stromleitung, nur ganz kurz zu sehen, dann war da nichts mehr, nur Lastwagen und Autos, deren Scheinwerfer im Regen leuchteten.
      «Können wir mit unseren Game Boys spielen?», fragte Sam.
      «Die hättet ihr wohl nicht zu Hause lassen können?», sagte Tante Margaret.
      «Bitte», bettelte Justin.
      Sie ließ die beiden warten, als wäre es eine schwere Entscheidung, die Scheibenwischer liefen schneller als nötig und quietschten über das Glas. Sam wusste, dass er besser still war, bis sie ihre Bitte ablehnte.
      «Insgesamt eine Stunde, und keine Sekunde länger. Wenn wir da sind, lasst ihr sie im Auto. Und ohne Ton.»
      «Danke», sagte Justin.
      «Sam? Und was sagst du?»
      «Danke», sagte er, aber er hatte den Game Boy schon an, und ihre Stimme kam aus einer anderen Welt.
     
     
* 3
     
    «Das Trainingslager der Bills», sagte Ken, «der Versager», doch niemand lachte.
      «Nach dem Spiel gegen die Steelers zu urteilen», bestätigte seine Mutter, «scheint es mit ihnen wirklich bergab zu gehen.»
      Lise neben ihm blieb still, eine Bombe, die jeden Moment hochgehen konnte, und Ken fühlte sich verpflichtet, etwas zu sagen, und sei es aus reiner Höflichkeit.
      «Ja», sagte er, «die können sich beerdigen lassen», was er sofort bedauerte.
      Seit dem Tod seines Vaters fiel ihm besonders auf, dass er gegenüber seiner Mutter bestimmte Worte benutzte. Am Telefon sprudelte er sie heraus, als wollte er seine Mutter absichtlich quälen, und doch äußerte sie sich nie dazu. Vermutlich hatte es dieselbe Wirkung, wie wenn er das Wort «Krebs» hörte oder in Emergency Room unheilbar kranke Patienten sah - er war wie betäubt und dann erleichtert, sobald es vorbei war und er wieder in die alltägliche Vergesslichkeit eintauchen konnte, sein Vater nicht tot, nur ein Ferngespräch weit weg, wahrscheinlich arbeitete er im Keller oder lag in seinem Arbeitszimmer auf dem Sofa und las einen seiner historischen Romane über das Meer.
      Vielleicht war das seine Art, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sein Vater wirklich tot war, und er bat seine Mutter, diese unmögliche Tatsache zu bestätigen. Vielleicht, dachte er.
     
     
* 4
     
    «Die Steelers sollen auch nicht viel besser sein», sagte seine Mutter.
     
     
* 4
     
    Emily konnte sich weder an die Skyline noch an einen der Highways erinnern, auf denen sie um die regennasse Innenstadt herumgeführt wurden, und doch mussten sie dort entlanggekommen sein. Die Straßen waren neu, wie auch die meisten Gebäude, blau verspiegelte Würfel und Betonkästen öde wie Millimeterpapier. Es ähnelte Pittsburgh. Die Fabriken waren verschwunden, die Güterbahnhöfe stillgelegt, ersetzt durch ökonomische Phrasendrescherei, Viertel wie The Hill und Braddock leer gefegt, nur noch Rentner übrig, die Stadt alt geworden. Sie fand, dass es ein Fehler war, überhaupt hergekommen zu sein.
      An ihrem ersten Tag als Mann und Frau waren sie früh aufgewacht und hatten noch einmal miteinander geschlafen, und dann war Henry die ganzen sechs Stunden von Pittsburgh gefahren, während sie am Radio herumspielte und sie beide mitsangen und sich kniffen und knufften, sich über die Provinzstädtchen mit ihren tollen Forellenbächen lustig machten, die sie so gut kannte, und allen möglichen Unsinn anstellten. Der einzige Mensch, mit dem sie, abgesehen von ihrer Mutter, je im selben Bett geschlafen hatte, war Jocelyn gewesen, in den eiskalten Nächten in ihrem fahrstuhllosen Mietshaus, und es hatte sie verwirrt, dass Henry neben ihr lag. Hin und her gerissen zwischen Schlafmangel und Schwindel, hatte sie sich den

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