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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Leine hinabgleiten, bis er auf dem Grund aufschlug, und zurrte sie dann fest.
      Sam fragte, warum sie nicht Tubing machen konnten. Lise schenkte ihm keine Beachtung und zog ihre Shorts aus.
      «Wieso müssen wir immer erst schwimmen gehen?»
      «Führ dich nicht auf wie ein Trottel», sagte Ella schließlich.
      «Okay, wer springt als Erster?», fragte Ken und klappte die Leiter runter.
      Normalerweise konnte man darauf zählen, dass die Jungs alles tun würden, um im Rampenlicht zu stehen, doch Sam war quengelig, und Justin sprang nicht darauf an. Ella und Sarah zögerten und zeigten keine Begeisterung.
      «Irgendwer», sagte Ken.
      «Ich mach's», sagte Lise. «Ich hab keine Angst.»
      Es gab keine Einwände, also kletterte sie über die Windschutzscheibe und richtete sich auf dem heißen Bug auf. Das Boot schaukelte unter ihr, und sie musste ihr Gewicht verlagern; sie duckte sich, streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Sie entschied sich, von der Steuerbordseite zu springen, dem Herrenhaus zugewandt. Sie musste ein, zwei Schritte machen, um vom Bugrand zu springen. Unwillkürlich dachte sie an Kinder, die gelähmt waren, weil sie in Baggerseen gesprungen waren, wo Telefonmasten und alte Pfähle unter der Wasseroberfläche lauerten. Das Herrenhaus hatte bestimmt einen Steg gehabt. Wahrscheinlich hatten hier Dampfschiffe angelegt, um Gäste von Bord zu lassen.
      «Spring», forderte Sam.
      «Wie tief ist es?», fragte sie.
      «Keine Sorge», sagte Ken, «bestimmt sechs, sieben Meter.»
      Sie beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und mit den Füßen voran hineinzuspringen, war sich dann aber unschlüssig.
      «Los», drängte Sam.
      Sie richtete sich zu voller Größe auf, schwankte zurück, schätzte, wie viele Schritte sie brauchte, und lief zum Bootsrand. Sie stieß sich ab, sprang aber nicht hoch, sondern einfach nach vorn, zog die Knie an die Brust und schlang die Arme fest um die Schienbeine, um eine Arschbombe zu machen.
      Sie klatschte hart aufs Wasser, ein Schock für ihre Knochen. Die Kälte und die Stille umschlossen sie. Ihr Gewicht zog sie in noch kühlere Tiefen hinab.
      Als sie die Augen öffnete, war bloß das schwache Leuchten der Wasseroberfläche zu sehen, das Wasser grün und morastig, verschlammt. Die Kälte beruhigte ihren Herzschlag, schottete ihn gegen das schwache, silberhelle Geräusch der Schiffsschrauben ab, die weit draußen, mitten auf dem See, vorbeizogen wie U-Boote. Sie sah sich auf dem schmutzigen Strand liegen, schlaff und mit bleichen Lippen, die Augen aufgerissen wie ein Fisch, ihr glänzendes Haar ein greller Kontrast. Dann würde er Fotos von ihr machen, einen Film nach dem anderen, würde sie begehren, wie er es im Leben nie tat.
      Sie würde es nie erfahren. Ihr eigener Auftrieb beförderte sie willenlos an die Oberfläche. Das Herrenhaus war verschwunden, über ihr nichts als Bäume.
      «Wie ist es?», rief er, und sie entdeckte ihn - er stand in seiner albernen superkurzen Shorts auf dem Bug.
      «Schön», sagte sie, obwohl es gelogen war.
     
     
* 14
     
    Meg hatte bloß auf die Bootsfahrt verzichtet, damit sie reden konnten. Sie hatte gehofft, Arlene würde sie allein lassen. Während Meg überlegte, wie sie Arlene wegschicken konnte, machte die es sich mit ihrem Roman und einem großen Glas auf der Veranda bequem und hörte mit halbem Ohr dem Pirates-Spiel auf dem Sender aus Erie zu.
      Um Rufus auszuführen oder sich auf den Steg zu setzen, war es zu heiß. Ihre Mutter setzte sich auf den Stuhl neben Arlene, und Meg entschied sich für die Hollywoodschaukel, gab sich geschlagen, wenn auch nur für den Augenblick. Wie immer hatte Ken das Schwierigste ihr überlassen, hatte sich weggeschlichen, blieb schuldlos, während sie sich ihrer Mutter stellte. Trotz Megs zerrütteten Lebens waren ihre Rollen unverändert geblieben. Das lag wohl an Kens Schwäche oder war nur Nachlässigkeit, jedenfalls kein Vertrauensbeweis für sie, doch sie war bereit zu glauben, dass sie sich irrte, legte es vielleicht sogar darauf an.
      Alle drei lasen im Schatten, während die Sonne auf dem Wasser glitzerte, der Bootslärm wie auf einer Rennstrecke, dann eine Weile Stille. Die Pirates gewannen in Chicago. Mitten im Satz ließ sie sich in das Spiel hineinziehen und lauschte dem Geschrei der Zuschauer oder den witzelnden Radiosprechern. Sie machten immer noch Werbung für Iron City-Bier, ein Produkt aus Megs Jugendzeit,

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